30-10-2013, 16:18
Landgericht Bielefeld, Aktenzeichen 8 Qs 563/11
Beschluss vom 10.11.2011 der VIII. Strafkammer – Beschwerdekammer
http://www.justiz.nrw.de/nrwe/lgs/bielef...11110.html
Bei Unterhaltspflichtverletzungsstrafverfahren ist ein Pflichtverteidiger beizuordnen. Das Verfahren, um das es hier ging, lief gegen eine Mutter, eine seltene Kuriosität im Strafrecht. Bielefeld, wo auch von RA Rixe sitzt :-)
Volltext der Begründung:
Die Voraussetzungen für die Bestellung eines Verteidigers gemäß § 140 Abs. 2 StPO liegen vor. Nach dieser Vorschrift ist u. a. ein Verteidiger zu bestellen, wenn die Sachlage schwierig ist. Das ist hier der Fall. Der Angeschuldigten wird mit Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Bielefeld vom 29.03.2011 zur Last gelegt, ihre gegenüber ihren Kindern aus erster Ehe bestehende Unterhaltspflicht verletzt zu haben. § 170 StGB, gegen den die Angeschuldigte verstoßen haben soll, ist eine äußerst komplexe Vorschrift. Der Strafrichter hat ohne Bindung an vorliegende einschlägige zivilrechtliche Erkenntnisse die Unterhaltspflicht des Angeklagten, deren Verletzung ihm angelastet wird, der Höhe nach eigenverantwortlich festzustellen (vgl. OLG München, NStZ 2009, 212). Die Möglichkeit der Leistung ist ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal. Hierzu sind (bezifferte) Feststellungen über die Höhe der Einkünfte, anderweitige Verpflichtungen, Werbungskosten und sonstige Lasten sowie den Selbstbehalt des Verpflichteten erforderlich, denn der Täter muss tatsächlich zu einer mindestens teilweisen Leistung imstande sein, ohne seine eigene Existenz zu gefährden. Unter dem Gesichtspunkt der Gefährdung des Lebensbedarfs der unterhaltsberechtigten Kinder sind weitergehende Feststellungen zur Leistungsfähigkeit des Kindesvaters erforderlich. Zu den für die Feststellungen der Unterhaltspflicht maßgebenden Tatsachen gehören auch die Umstände, welche die Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber minderjährigen Kindern erweitern (§1603 Abs. 2 S.1 BGB) oder begrenzen (§ 1603 Abs. 2 S. 2 BGB; vgl. OLG Hamm, NStZ 2008, 342 m. w. N.). Es sind auch Feststellungen über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Vaters zu treffen, ungeachtet der Tatsache, dass er seinen Unterhaltsanteil hier wohl durch die Gewährung von Pflege und Erziehung erbringt (§ 1606 Abs. 3 S. 2 BGB; vgl. OLG München, NStZ, aaO). Hiermit steht in Einklang, dass bei Unterhaltssachen vor dem Familiengericht Anwaltszwang herrscht, §§ 114 Abs. 1,111 Nr.8 FamFG.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 3 StPO analog.
Schon einem anderen Thread thematisiert. Mit dieser Begründung kann man für jedes Verfahren wegen Unterhaltspflichtverletzung verlangen, einen Verteidiger beigeordnet zu bekommen. Erfreulich, treibt das doch die Kosten für die Justiz weiter in die Höhe. Das ist eine Spätfolge der fürs Unterhaltsrecht eingeführten Anwaltspflicht, die die Kosten für die Pflichtigen extrem in die Höhe getrieben hat. Der Staat bekommt somit ein bisschen von dem zurück, zu dem er mit leichter Hand Unterhaltspflichtige verdonnert hat (Kind und Ex bekommen häufig VKH, am Pflichtigen bleibt alles hängen).
Mit Verweis auf obigen Beschluss sollte man freilich auch grundsätzlich einen Pflichtverteidiger verlangen. Sich aber sich nicht auf ihn verlassen, denn Anwälte sind meistens genauso schimmerlos wie Richter bei diesem Delikt. Der Effekt ist mehr eine Kostenerhöhung für den Staat wie eine Verbesserung für den Angeklagten, der sich nach wie vor selbst kundig machen muss und seine Rechte durchsetzen.
Beschluss vom 10.11.2011 der VIII. Strafkammer – Beschwerdekammer
http://www.justiz.nrw.de/nrwe/lgs/bielef...11110.html
Bei Unterhaltspflichtverletzungsstrafverfahren ist ein Pflichtverteidiger beizuordnen. Das Verfahren, um das es hier ging, lief gegen eine Mutter, eine seltene Kuriosität im Strafrecht. Bielefeld, wo auch von RA Rixe sitzt :-)
Volltext der Begründung:
Die Voraussetzungen für die Bestellung eines Verteidigers gemäß § 140 Abs. 2 StPO liegen vor. Nach dieser Vorschrift ist u. a. ein Verteidiger zu bestellen, wenn die Sachlage schwierig ist. Das ist hier der Fall. Der Angeschuldigten wird mit Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Bielefeld vom 29.03.2011 zur Last gelegt, ihre gegenüber ihren Kindern aus erster Ehe bestehende Unterhaltspflicht verletzt zu haben. § 170 StGB, gegen den die Angeschuldigte verstoßen haben soll, ist eine äußerst komplexe Vorschrift. Der Strafrichter hat ohne Bindung an vorliegende einschlägige zivilrechtliche Erkenntnisse die Unterhaltspflicht des Angeklagten, deren Verletzung ihm angelastet wird, der Höhe nach eigenverantwortlich festzustellen (vgl. OLG München, NStZ 2009, 212). Die Möglichkeit der Leistung ist ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal. Hierzu sind (bezifferte) Feststellungen über die Höhe der Einkünfte, anderweitige Verpflichtungen, Werbungskosten und sonstige Lasten sowie den Selbstbehalt des Verpflichteten erforderlich, denn der Täter muss tatsächlich zu einer mindestens teilweisen Leistung imstande sein, ohne seine eigene Existenz zu gefährden. Unter dem Gesichtspunkt der Gefährdung des Lebensbedarfs der unterhaltsberechtigten Kinder sind weitergehende Feststellungen zur Leistungsfähigkeit des Kindesvaters erforderlich. Zu den für die Feststellungen der Unterhaltspflicht maßgebenden Tatsachen gehören auch die Umstände, welche die Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber minderjährigen Kindern erweitern (§1603 Abs. 2 S.1 BGB) oder begrenzen (§ 1603 Abs. 2 S. 2 BGB; vgl. OLG Hamm, NStZ 2008, 342 m. w. N.). Es sind auch Feststellungen über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Vaters zu treffen, ungeachtet der Tatsache, dass er seinen Unterhaltsanteil hier wohl durch die Gewährung von Pflege und Erziehung erbringt (§ 1606 Abs. 3 S. 2 BGB; vgl. OLG München, NStZ, aaO). Hiermit steht in Einklang, dass bei Unterhaltssachen vor dem Familiengericht Anwaltszwang herrscht, §§ 114 Abs. 1,111 Nr.8 FamFG.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 3 StPO analog.
Schon einem anderen Thread thematisiert. Mit dieser Begründung kann man für jedes Verfahren wegen Unterhaltspflichtverletzung verlangen, einen Verteidiger beigeordnet zu bekommen. Erfreulich, treibt das doch die Kosten für die Justiz weiter in die Höhe. Das ist eine Spätfolge der fürs Unterhaltsrecht eingeführten Anwaltspflicht, die die Kosten für die Pflichtigen extrem in die Höhe getrieben hat. Der Staat bekommt somit ein bisschen von dem zurück, zu dem er mit leichter Hand Unterhaltspflichtige verdonnert hat (Kind und Ex bekommen häufig VKH, am Pflichtigen bleibt alles hängen).
Mit Verweis auf obigen Beschluss sollte man freilich auch grundsätzlich einen Pflichtverteidiger verlangen. Sich aber sich nicht auf ihn verlassen, denn Anwälte sind meistens genauso schimmerlos wie Richter bei diesem Delikt. Der Effekt ist mehr eine Kostenerhöhung für den Staat wie eine Verbesserung für den Angeklagten, der sich nach wie vor selbst kundig machen muss und seine Rechte durchsetzen.