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BVerfG 26.10.2011 Az 2 BvR 15/119: Hausdurchsuchung bei Unterhaltspflichtverletzung
#1
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 26.10.2011 (Az.: 2 BvR 15/119)
Volltext: http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20...01511.html


Einstimmig durch die 3. Kammer des zweiten Senats (KEINE Familienrechtler) beschlossen.

Unterhaltspflichtiger Vater macht eine Umschulung, von der ARGE befürwortet und bezahlt, seine erste Ausbildung. Er schliesst erfolgreich ab. Teil der Ausbildung ist die Beschäftigung als Praktikant, er erhält dafür wie bisher nur Leistungen der ARGE.

Drei Monate später hämmern nach altbekannter deutscher Tradition frühmorgens mehrere Uniformierte an seine Zimmertür und nehmen seine Bude auseinander auf der Suche nach Unterlagen, die Auskunft über seine finanziellen Verhältnisse geben. Dafür reichen dem Staatsanwalt blosse Behauptungen der Kindesmutter aus. Zu diesem Zeitpunkt ist noch nicht einmal das laufende zivile Unterhaltsverfahren abgeschlossen!

Er legt Beschwerde ein, wenigstens das Unterhaltsverfahren hätte man abwarten müssen. Das Landgericht verwirft sie. Schliesslich sei sein Foto auf der Internetseite der Firma aufgetaucht, wo er Praktikant war. Dass er und die Firma angegeben haben, dass kein Geld gezahlt worden wäre egal.

Ein unglaublicher Vorgang. Er geht zum BVerfG, Verletzung seines Grundrechts aus Art. 13 Abs. 1 GG. Kein Tatverdacht, Auskunft der Firma, Angaben der ARGE, deshalb wäre die Durchsuchung unverhältnismässig.

Das BVerfG bestätigt. Alles andere wäre auch vollends abgedreht gewesen. Es erteilt dem Landgericht eine lapidar formulierte kleine Vorlesung in den allereinfachsten Grundlagen des Strafrechts über Verdachtsgründe, Voraussetzungen, §170 StGB.

"In den angegriffenen Entscheidungen finden sich schon keine Angaben darüber, in welcher Höhe eine Unterhaltspflicht bestand und welche Einkünfte der Beschwerdeführer erzielt haben soll. Der Tatverdacht wird allein auf die pauschale Behauptung weiterer Einkünfte in der Strafanzeige der von dem Beschwerdeführer getrennt lebenden Ehefrau und den Internetauftritt eines Unternehmens gestützt, in welchem der Beschwerdeführer als Praktikant im Rahmen einer Umschulungsmaßnahme beschäftigt war. (...) Die Annahme einer Unterhaltspflichtverletzung beruhte daher auf bloßen Vermutungen, die den schwerwiegenden Eingriff in die grundrechtlich geschützte persönliche Lebenssphäre nicht zu rechtfertigen vermögen."

Ach ja: Gefunden wurde nichts belastendes. Ein sehr schlechter Nachgeschmack bleibt. Das ohnehin schon äusserst niedrigschwellig und inflationär gebrauchte Terrorinstrument der Hausdurchsuchung kam durch die Entscheidung kurzzeitig an die Oberfläche, wurde aber im Prinzip nicht eingeschränkt. Täglich beantragen erhitzte Staatsanwälte, die auf spätere Richterstellen schielen weiter Hausdurchsuchungen ungeachtet der Schlagzeilen wie "Razzia in rechtfreiem Raum" (SPIEGEL), Exzesse wie Durchsuchungen bei S21-Gegnern, Leuten bei denen vermutet wird dass sie ein Musikstück weitergegeben haben und eben auch Leute, deren Ex einfach so behauptet, sie hätten Geld.

Thomas Stadler dazu: http://www.internet-law.de/2011/12/wohnu...epage.html
Einer der Richter, der mitentschieden hat, gab zwei Tage vorher der taz ein sehr lesenswertes Interview: http://www.taz.de/Verfassungsrichter-ueb...en/!80807/ . Seine letzte Entscheidung, wenige Tage später wurde er zum Bundesfinanzhof nach München weggelobt. Da kann er jetzt gegen Hausdurchsuchungen bei Steuersündern vorgehen...

Warum macht die Justiz das, worum geht es? Seine Antwort: "Zum Beispiel um Einschüchterung und Disziplinierung." Lesenswert auch die Kommentare, u.a. von Betroffenen.
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