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[split] Von Vaterschaft zu Pleiteschaft
#80
Die Voraussetzungen einer Strafbarkeit wegen Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 170 StGB in Hinblick auf den Kindesunterhalt.



Vorweg sei beruhigend versichert, dass es die unerträgliche Trivialität, mit der die Oberlandesgerichte in oft genug verfassungswidriger Weise die Realität verbiegen um den unterhaltspflichtigen Vater fiktiv festsetzen zu können, im Strafverfahren nicht gibt. Trotzdem ist es dringend geboten, den Prüfungsaufbau des Straftatbestandes gut zu kennen.

Denn die Verteidigung gelingt um so besser, wenn man schon an den Fragestellungen der Staatsanwaltschaft und des Gerichts feststellen kann, wohin "die Reise geht".

Übrigens wird die StA in diesen Fällen meistens vertreten durch sogenannte Amtsanwälte, die keine Juristen sind und im Verlauf der Hauptverhandlung nach "Schema F" vorgehen und entsprechend "unflexibel" sind, wenn besondere Tatumstände juristische Bewertungen erfordern, die von denen der eingereichten Klageschrift abweichen.

Um nach § 170 Abs. 1 StGB bestraft werden zu können, muss der Täter folgenden Tatbestand rechtswidrig und vorsätzlich erfüllen:





Wer sich seiner

•gesetzlichen Unterhaltspflicht
•entzieht,
•so daß der Lebensbedarf des Unterhaltsberechtigten gefährdet ist
•oder ohne die Hilfe anderer gefährdet wäre,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.



1.es muss eine gesetzliche Unterhaltspflicht (§ 1601 BGB!) bestehen
2.indem man sich dieser Verpflichtung entzieht, muss der Lebensbedarf des Kindes (Unterhaltsberechtigten) gefährdet sein (oder er ist nur deswgen nicht gefährdet, weil Dritte anstelle des Verpflichteten leisten Das können Sozialhilfe, die Unterhaltsvorschusskasse oder andere Verwandte -auch die Mutter!, dazu siehe unten- sein)
3.man kann sich seiner Verpflichtung nur entziehen, wenn man leistungsfähig ist.


Schon daheraus ergibt sich Folgendes: das alleinige "sich entziehen" führt noch zu keiner Strafbarkeit.

Entziehen darf man sich seiner Unterhaltsverpflichtung solange, "bis der Arzt kommt" - die Polizei jedenfalls wird deswegen nicht kommen!

Hinzukommen muss immer eine Gefährdung des Lebensbedarfs.

Damit gemeint ist NICHT der Bedarf, den der Berechtigte zur Sicherstellung seines Lebens benötigt, sondern der Lebensbedarf "schlechthin" - also die Befriedigung seiner notwendigen Ansprüche, soweit diese von ihm selbst nur gesichert werden können, wenn er über ein ihm zumutbares Maß hinaus selbst arbeiten müsste!

Diese Gefährdung muss eine Folge des "sich entziehens" sein, also in einem ursächlichen (kausalen) Zusammenhang damit stehen. Das kann schon mal zu Problemen führen, bspw. wenn öffentliche Hilfe unabhängig von der Nichtleistung des Verpflichteten gezahlt wird oder ein -auch konkludenter- Verzicht der leistenden Verwandten auf die Unterhaltszahlung des ansonsten Verpflichteten vorliegt.



Entscheidend für eine Strafbarkeit ist aber ein im Gesetz selbst nicht ausdrücklich erwähntes Tatbestandsmerkmal:



die Leistungsfähigkeit des Verpflichteten!



Leistungsfähig ist, wer über ein Einkommen oder sonstwie über Einnahmen verfügt, aus denen er Unterhalt zu zahlen in der Lage ist, ohne seinen Selbstbehalt zu gefährden.



Wie ein Leistungsfähiger muss sich behandeln lassen, wer seine Leistungsunfähigkeit vorwerfbar selbst herbeigeführt hat, oder wer es unter Verletzung seiner Erwerbsobliegenheit unterläßt, seine Leistungsunfähigkeit abzuwenden.



Hier bietet sich den Paragraphenmagiern des Zivilrechts die Möglichkeit, den unterhaltspflichtigen Vater fiktiv festzusetzen, d.h. man behandelt ihn so wie er dastehen würde, wenn er nach den Vorstellungen des Gerichts Geld verdienen würde.

Dann dürfen Juristen auch schon mal "wild drauflos spekulieren".

Ihr Geld ist es ja nicht - und sie müssen es auch nicht verdienen!

Sie lassen sich von der Argumentation leiten, dass ein Vater alles -aber wirklich auch alles!- zu unternehmen hat um sich in die Situation zu versetzen Unterhalt zahlen zu können, bevor die Allgemeinheit für seine Pflichten einsteht.

Natürlich befürchten sie, das auch IHRE Steuergelder dafür herangezogen werden.

Dass sie vom Kindersegen einiger Mutiger (oder Dummer oder Leichtfertiger?) insgesamt auch profitieren, verschweigen sie geflissentlich.

Ebenso bleibt unberücksichtigt, wer im Ergebnis dem Staat (mithin der Allgemeinheit) mehr Schaden zufügt:

der zahlungsunfähige Vater,

oder bspw.

ein wirklich nicht wenig verdienender Senat eines Oberlandesgerichts

(es sind immerhin drei Richter, die alle ein Studium, das in der Regel die Allgemeinheit finanziert hatte, absolviert haben, zwei ordentliche Examen erfolgreich abgelegt haben und die eigentlich Spezialisten des Familienrechts sein müssten)

welcher unter Verletzung der Grundrechte des Beklagten (Vater) diesen fiktiv festsetz, indem er den "Bogen überspannt", wie das BVerfG sich mit schöner Regelmäßigkeit auszudrücken pflegt, weil eines der einfachsten Verfassungsprinzipien von erfahrenen und überaus qualifizierten Richtern nicht beachtet wurde:

die Verhältnismäßigkeit!



Ob der Unterhaltsverpflichtete leistungsfähig ist, läßt sich relativ schnell feststellen.



Schwieriger ist es, ihm nachzuweisen, ob er leistungsfähig sein könnte.

Er also nur deswegen nicht leistungsfähig ist, weil er seine Leistungsunfähigkeit vorwerfbar selbst herbeigeführt hat.

In diesem Fall erfolgt eine Bestrafung m.E. zu Recht:



Dummheit muss bestraft werden!





Aber auch der Vater, der seine Erwerbsobliegenheit verletzt hat, indem er sich nicht ausreichend um Arbeit, die ihn zur Unterhaltszahlung befähigen würde, bemüht hatte, ist nur dann wie ein Leistungsfähiger zu stellen, wenn ihm nachgewiesen werden kann, dass seine unterlassenen Erwerbsbemühungen kausal , also ursächlich sind für seine Leistungsunfähigkeit.



Dieser Zusammenhang dürfte in der Praxis sehr schwer und nur ausnahmsweise zu beweisen sein.

Möglicherweise dann, wenn ihm eine Stelle vom Jugendamt angeboten wurde und sicher ist, das man ihn eingestellt hätte.



Fraglich ist noch, ob der Lebensbedarf des Unterhaltsberechtigten i. S. d. § 170 StGB "gefährdet oder nur deswegen nicht gefährdet" ist, weil die Mutter den Unterhalt leistet, um den Lebensbedarf des Kindes sicher zu stellen, weil und soweit der Vater nicht leistet.

Das hängt nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung der Oberlandesgerichte davon ab, ob zwischen den leistungspflichtigen Eltern eines minderjährigen Kindes eine auffällige Einkommensschieflage besteht, die es rechtfertigt, dass

1. die verschärfte Unterhaltspflicht des Vaters gem. 1603 Abs. 1 BGB entfällt, weil die Mutter (als "anderer unterhaltspflichtiger Verwandter") ohne Berücksichtigung ihrer sonstigen Verpflichtungen und ohne Gefährdung des eigenen angemessenen Unterhalts den Barunterhalt des Kindes zu leisten in der Lage ist

2. sogar dann, wenn bei Unterhaltszahlung des Vaters dessen angemessener Selbstbahalt NICHT gefährdet wäre, die Mutter zum von ihr geleisteten Betreuungsunterhalt den ganzen oder anteiligen BARUNTERHALT zu leisten hat.

In einem solchen Fall entfällt nämlich die Barunterhaltsverpflichtung des Vaters !

Diese Situation ist nach oberlandesgerichtlicher Rechtsprechung gegeben, wenn das Einkommen der Mutter als betreuender Elterteil mindestend doppelt so hoch ist, wie das des "an sich barunterhaltspflichtigen" Vaters.

Diese Einkommenssituation muss vom Strafgericht vollkommen unabhängig von vorherigen Urteilen der Zivilgerichte geprüft werden.

Denn eine etwaige Bestrafung des i.d.R. angeklagten Vaters könnte unter Berücksichtigung der oben beschriebenen Rechtslage ganz entfallen oder aber eine der Möglichkeit nach gegebene anteilige Unterhaltsverpflichtung der Mutter hätte zumindest Auswirkungen auf das Strafmaß!



Verständlicherweise "reissen" sich die Strafgerichte nicht gerne von sich aus um eine derart komplizierte Prüfung, weswegen es wie schon oben angemerkt besonders wichtig ist, den Tatbestandsaufbau des § 170 StGB gut zu kennen!
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[split] Von Vaterschaft zu Pleiteschaft - von Armeunten - 08-12-2008, 16:14
RE: [split] Von Vaterschaft zu Pleiteschaft - von Armeunten - 08-12-2008, 16:53
RE: [split] Von Vaterschaft zu Pleiteschaft - von Exilierter - 11-11-2009, 07:08
RE: [split] Von Vaterschaft zu Pleiteschaft - von Exilierter - 11-11-2009, 18:22
RE: [split] Von Vaterschaft zu Pleiteschaft - von Exilierter - 12-11-2009, 01:29
RE: [split] Von Vaterschaft zu Pleiteschaft - von Exilierter - 12-11-2009, 08:58
RE: [split] Von Vaterschaft zu Pleiteschaft - von Exilierter - 12-11-2009, 22:44
Irgend so ein Klassiker ... - von Gast1 - 18-11-2009, 19:58
RE: [split] Von Vaterschaft zu Pleiteschaft - von Exilierter - 28-11-2009, 14:01
RE: [split] Von Vaterschaft zu Pleiteschaft - von Exilierter - 26-01-2010, 16:14
RE: [split] Von Vaterschaft zu Pleiteschaft - von Exilierter - 27-01-2010, 12:18
RE: [split] Von Vaterschaft zu Pleiteschaft - von Exilierter - 27-01-2010, 12:43
RE: [split] Von Vaterschaft zu Pleiteschaft - von Exilierter - 27-01-2010, 12:59
RE: [split] Von Vaterschaft zu Pleiteschaft - von Exilierter - 27-01-2010, 13:27
RE: [split] Von Vaterschaft zu Pleiteschaft - von Exilierter - 02-03-2010, 13:10
RE: [split] Von Vaterschaft zu Pleiteschaft - von Exilierter - 02-03-2010, 14:05
RE: [split] Von Vaterschaft zu Pleiteschaft - von Exilierter - 02-03-2010, 15:28
RE: [split] Von Vaterschaft zu Pleiteschaft - von Exilierter - 02-03-2010, 16:20
RE: [split] Von Vaterschaft zu Pleiteschaft - von Skippie - 16-03-2010, 13:07

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