02-05-2011, 15:26
Die Fälle sind jetzt verhandelt und die Veröffentlichungen der Volltexte draussen.
Bundessozialgericht, Urteil vom 09.11.2010 , Az. B 4 AS 78/10 R
Volltext: http://juris.bundessozialgericht.de/cgi-...n&nr=11911
Zahlt ein Vater Unterhalt für ein getrennt lebendes Kind, so ist dies bei der Berechnung von Hartz-IV-Leistungen einkommensmindernd zu berücksichtigen. Das gilt für beim Jugendamt festgelegte Unterhaltszahlungen, unabhängig vom Einkommen.
Von einer Absetzung der Unterhaltszahlungen vom Einkommen kann in diesem Fall auch nicht allein unter dem Gesichtspunkt unterlassener Selbsthilfe (§ 2 SGB II) mit der Begründung abgesehen werden, der Leistungsempfänger habe nicht auf eine Abänderung seines Unterhaltstitels hingewirkt. § 2 SGB II enthält insoweit keine durchsetzbaren Rechtspflichten, sondern Obliegenheiten, deren Verletzung lediglich leistungsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann, die speziell und abschließend in §§ 31, 32 SGB II geregelt sind.
Es gibt auch abweichende Urteile. Ein paar Wochen vorher hat das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt im Beschluss vom 08.09.2010 mit Az. L 2 AS 292/10 B ER gefordert, Hilfebedürftige müssten ihnen zumutbare Anstrengungen unternehmen, die nicht mehr zutreffende Unterhaltstitulierung abändern zu lassen bzw. einen Unterhaltstitel, der einen fiktiven Unterhalt festsetzt, abändern zu lassen. Die Obliegenheit zur Anpassung des Unterhaltstitels folge zum einen aus §§ 2, 3 Abs. 3 SGB II und daraus, dass der Sinn und Zweck der Regelung in § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB II gerade nicht ist, genügende Mittel für den Unterhalt von Personen außerhalb einer Bedarfsgemeinschaft zur Verfügung zu stellen. Volltext: https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esg...&id=133966
Die Begründung ist kompliziert und seitenweise langatmig, aber durchaus lesenswert. Das Gericht verheddert sich zwischen Unterhalts- und Sozialrecht, was bei diesen Rechtsgebieten fast zwangsläufig der Fall ist. Der Hilfebedürftige arbeitet, verdient aber wenig (im Call Center ist solche Jobs), wurde von der Berechtigten aufgefordert, Kindesunterhalt zu titulieren, was dieser getan hat. Das Gericht wird ihm trotzdem vor, freiwillig tituliert zu haben. Und es sei nicht Aufgabe des SGB II, dafür zu sorgen, dass Unterhaltsansprüche von Kindern gegenüber Leistungsempfängern des SGB II befriedigt werden. Die zur Deckung des eigenen Lebensunterhalts vorgesehenen Leistungen des SGB II seien nicht dazu bestimmt, den Empfänger in die Lage zu versetzen, etwaigen Unterhalts- oder Unterstützungspflichten gegenüber Dritten nachzukommen (vgl. BSG, v. 19. März 2008, B 11b AS 13/06 R). Es sei auch egal, ob der Unterhaltstitel erfolgreich abgeändert werden kann oder nicht.
"Der hier auftretende Konflikt zwischen den unterschiedlichen Grundsätzen der Leistungsfähigkeit im Unterhaltsrecht und denen der Grundsicherung, in der sich die Bedarfsdeckung nicht nach den Möglichkeiten, sondern der tatsächlichen Einkommenssituation bemisst, kann nur in der Weise gelöst werden, dass der Hilfebedürftige ihm zumutbare Anstrengungen unternimmt, die nicht mehr zutreffende Unterhaltstitulierung abändern zu lassen bzw. einen Unterhaltstitel, der einen fiktiven Unterhalt festsetzt, abändern zu lassen (so auch LSG Sachsen v. 12. Mai 2009, L 7 AS 146/09 B ER – Juris mit zustimmender Anm. von Schürmann, jurisPR-FamR, 1/ 2010 Anm. 3; a.A. LSG Baden-Württemberg v. 22. April 2010, L 7 AS 5458/09 – Juris, nicht rechtskräftig, Revision beim BSG unter dem Az. B 4 AS 78/10 R anhängig). Dass mögliche gerichtliche Abänderungsverfahren mit Kosten verbunden sind, steht dem nicht entgegen, da die Möglichkeit von Prozesskostenhilfe besteht."
Bundessozialgericht, Urteil vom 09.11.2010 , Az. B 4 AS 78/10 R
Volltext: http://juris.bundessozialgericht.de/cgi-...n&nr=11911
Zahlt ein Vater Unterhalt für ein getrennt lebendes Kind, so ist dies bei der Berechnung von Hartz-IV-Leistungen einkommensmindernd zu berücksichtigen. Das gilt für beim Jugendamt festgelegte Unterhaltszahlungen, unabhängig vom Einkommen.
Von einer Absetzung der Unterhaltszahlungen vom Einkommen kann in diesem Fall auch nicht allein unter dem Gesichtspunkt unterlassener Selbsthilfe (§ 2 SGB II) mit der Begründung abgesehen werden, der Leistungsempfänger habe nicht auf eine Abänderung seines Unterhaltstitels hingewirkt. § 2 SGB II enthält insoweit keine durchsetzbaren Rechtspflichten, sondern Obliegenheiten, deren Verletzung lediglich leistungsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann, die speziell und abschließend in §§ 31, 32 SGB II geregelt sind.
Es gibt auch abweichende Urteile. Ein paar Wochen vorher hat das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt im Beschluss vom 08.09.2010 mit Az. L 2 AS 292/10 B ER gefordert, Hilfebedürftige müssten ihnen zumutbare Anstrengungen unternehmen, die nicht mehr zutreffende Unterhaltstitulierung abändern zu lassen bzw. einen Unterhaltstitel, der einen fiktiven Unterhalt festsetzt, abändern zu lassen. Die Obliegenheit zur Anpassung des Unterhaltstitels folge zum einen aus §§ 2, 3 Abs. 3 SGB II und daraus, dass der Sinn und Zweck der Regelung in § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB II gerade nicht ist, genügende Mittel für den Unterhalt von Personen außerhalb einer Bedarfsgemeinschaft zur Verfügung zu stellen. Volltext: https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esg...&id=133966
Die Begründung ist kompliziert und seitenweise langatmig, aber durchaus lesenswert. Das Gericht verheddert sich zwischen Unterhalts- und Sozialrecht, was bei diesen Rechtsgebieten fast zwangsläufig der Fall ist. Der Hilfebedürftige arbeitet, verdient aber wenig (im Call Center ist solche Jobs), wurde von der Berechtigten aufgefordert, Kindesunterhalt zu titulieren, was dieser getan hat. Das Gericht wird ihm trotzdem vor, freiwillig tituliert zu haben. Und es sei nicht Aufgabe des SGB II, dafür zu sorgen, dass Unterhaltsansprüche von Kindern gegenüber Leistungsempfängern des SGB II befriedigt werden. Die zur Deckung des eigenen Lebensunterhalts vorgesehenen Leistungen des SGB II seien nicht dazu bestimmt, den Empfänger in die Lage zu versetzen, etwaigen Unterhalts- oder Unterstützungspflichten gegenüber Dritten nachzukommen (vgl. BSG, v. 19. März 2008, B 11b AS 13/06 R). Es sei auch egal, ob der Unterhaltstitel erfolgreich abgeändert werden kann oder nicht.
"Der hier auftretende Konflikt zwischen den unterschiedlichen Grundsätzen der Leistungsfähigkeit im Unterhaltsrecht und denen der Grundsicherung, in der sich die Bedarfsdeckung nicht nach den Möglichkeiten, sondern der tatsächlichen Einkommenssituation bemisst, kann nur in der Weise gelöst werden, dass der Hilfebedürftige ihm zumutbare Anstrengungen unternimmt, die nicht mehr zutreffende Unterhaltstitulierung abändern zu lassen bzw. einen Unterhaltstitel, der einen fiktiven Unterhalt festsetzt, abändern zu lassen (so auch LSG Sachsen v. 12. Mai 2009, L 7 AS 146/09 B ER – Juris mit zustimmender Anm. von Schürmann, jurisPR-FamR, 1/ 2010 Anm. 3; a.A. LSG Baden-Württemberg v. 22. April 2010, L 7 AS 5458/09 – Juris, nicht rechtskräftig, Revision beim BSG unter dem Az. B 4 AS 78/10 R anhängig). Dass mögliche gerichtliche Abänderungsverfahren mit Kosten verbunden sind, steht dem nicht entgegen, da die Möglichkeit von Prozesskostenhilfe besteht."