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Statement einer Ex-Borderlinerin
#1
Heute habe ich nicht unbedingt einen meiner besten Tage, da unsere Kleine mit hohem Fieber im Bett liegt und mich das immer fertig macht, den kleinen Zwerg so leiden zu sehen - vielleicht platzt mir deshalb jetzt der Kragen.

Seit einigen Monaten lese ich hier nun schon mit, habe vieles gelernt und meinen Horizont sehr erweitert.
Eines aber stößt mir immer wieder sauer auf, und das ist dieses unreflektierte, gedankenlose Gehetze gegen Borderlinerinnen.

Daher mal - aus der Sicht einer "Geheilten": Steckt euch das dämliche, aus Wut und Enttäuschung geborene, alles verallgemeinernde Gezeter an den Hut.

Ganz sicher gibt es selten dumme Frauen, unerträgliche Mutterglucken und psychisch durchgeknallte Damen, die einem eigentlich engagierten Vater das Leben zur Hölle machen oder gar zerstören - aus freien Stücken und mit voller Absicht. Für die muss und sollte man auch keine Ausreden und Entschuldigungen finden.

Aber: Das Borderline-Syndrom ist eine psychische Erkrankung. Die sucht man sich weder aus, noch lebt man gerne damit. Ergo - auch wenn das manch frustriert-verletztem Ex-Partner vielleicht nicht bewusst werden mag - tut man das, was man unter Einfluss dieser Krankheit tut, nicht aus bösem Willen heraus. Das mag keine Entschuldigung sein und auch nicht besser machen, was man anderen antut - aber es kann auch nicht angehen, dafür generell gesteinigt zu werden.

Keiner würde einem Blinden vorwerfen, nicht sehen zu können, oder zu einem Krebskranken sagen "Stell dich nicht so an, streng dich einfach ein wenig an, dann wirst du gesund." - im psychosomatischen Feld aber ist diese Einstellung gang und gäbe. Hätte ich für jedes Mal, in dem ein Ratschlag bezüglich meiner Erkrankung mit "Du musst doch einfach nur..." begann, einen Cent bekommen, wäre ich heute reich.

Als bei mir mit 15 Borderline-Syndrom diagnostiziert wurde, kam das gerade in Mode. Jedes junge Mädchen mit Selbstverletztungstendenzen und Depressiosansätzen wurde in diesem Sammeltopf geworfen - seit heute hat sich daran wenig geändert.

Heute, etwa 13 Jahre, dutzende Psychiatrie- und Kurklinikaufenthalte, diverse Psychotherapien, einige zusätzliche "Diagnosen" und ein paar gescheiterte Beziehungen später, kann ich ein annährend "normales" Leben und eine intakte Beziehung führen. Das war ein langer, entbehrungsreicher und teils lebensgefährlicher Weg. Er hat vielen, nicht nur mir, viel Leid gebracht - aber auch ein besseres Verständnis und mehr Wertschätzung für so manches.
Vieles von dem, was ich in diesen Jahren getan habe, lastet mir noch heute schwer auf der Seele - insbesondere das, was meine Familie mitmachen musste, allen voran meine Mutter. Glaubt mir, es macht keinen Spaß damit zu leben. Als Borderliner lebt man immer auf dem schmalen Grat zwischen "seine Krankheit akzeptieren" und "sie nicht als Ausrede für alles zu nehmen". Und wenn man alles hinter sich hat, bleiben - auch wenn man sich dieses Leben, die Ursache (ob nun Trauma oder biochemischer Fehler im Kopf), die Auswirkungen, selbst nie ausgesucht hat - genug Schuldgefühle für zwei Leben.

Insofern werbe ich hier nicht um Mitgefühl.
Aber folgendes sollten sich ein paar hier im Forum mal durch den Kopf gehen lassen:
1. Nicht jede Beziehung, die schlecht gelaufen ist, und jede Ex-Partnerin, die sich jetzt scheiße verhält, ist eine Borderlinerin, auch wenn man nur allzu gerne seinen Probleme mit dieser Frau ein Etikett verpassen würde. Mir ist schon klar dass Borderline ein guter Ablageplatz für alle vermeintlich Betroffenen ist, aber man kann es sich auch selbst echt leicht machen...
2. Von einem entsprechenden Arzt diagnostizierte erkrankte Frauen (oder Männer) haben ebenso viel Verständnis und Unterstützung verdient wie jeder andere schwer kranke Mensch auch. Das bedeutet nicht, dass man alles mitmachen muss. Aber es gibt Experten, die einem in solch einem Fall helfen können.
3. Einer meiner ersten Psychotherapeuten sagte einmal zu mir: "Sie werden diese Krankheit ein ganzes Leben lang mit sich rumtragen." Sehr motivierend. Recht hatte er übrigens auch nicht. Ja, die endgültigen Heilungschancen stehen schlecht, sind aber kein "6er im Lotto". Hier wird so generell allen "Problemfrauen" mal eben Borderline angedichtet und böse Absicht, sowie keinerlei Besserungswillen & - chance gleich dazu, dass einem vernünftig denkenden Menschen eigentlich nur schlecht werden kann.

Also lasst die Verteufelung, setzt euch - so ihr denn überhaupt wirklich betroffen seid - ernsthaft mit dem Thema auseinander und findet für EUCH (nicht für eure Ex-Partnerin) einen Weg, damit zu leben. Frust, Wut und Enttäuschung bleiben euch unbenommen - aber seit der Praxis der Hexenverbrennung sind ein paar Jahre ins Land gegangen, und auf diesem Weg ist sowieso nichts zu erreichen.
Die besten Chancen hat man, wenn man den Kern des Problems versteht und selbst die richtigen Verhaltensweisen erlernt, mit der Erkrankung des Gegenübers umzugehen. Damit macht man es nicht unbedingt (aber vielleicht) dem Borderliner leichter - sich selbst aber auf jeden Fall.

Besten Dank an alle, die es bis hierher geschafft haben. Wink
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Statement einer Ex-Borderlinerin - von Jessy - 09-02-2013, 16:23
RE: Statement einer Ex-Borderlinerin - von karlma - 09-02-2013, 16:51
RE: Statement einer Ex-Borderlinerin - von blue - 09-02-2013, 18:47
RE: Statement einer Ex-Borderlinerin - von iglu - 09-02-2013, 18:34
RE: Statement einer Ex-Borderlinerin - von iglu - 09-02-2013, 19:02
RE: Statement einer Ex-Borderlinerin - von N.P. - 09-02-2013, 21:52
RE: Statement einer Ex-Borderlinerin - von N.P. - 09-02-2013, 23:03
RE: Statement einer Ex-Borderlinerin - von p__ - 09-02-2013, 23:01
RE: Statement einer Ex-Borderlinerin - von p__ - 11-02-2013, 12:13
RE: Statement einer Ex-Borderlinerin - von blue - 11-02-2013, 20:38

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