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BVerfG 1 BvR 746/08: Umgangsausschluss ist schwerwiegender Verstoss gegen Elternrecht
#1
Beschluss des BVerfG Az 1 BvR 746/08 vom 05.12.2008

"In einem von Rechtsanwalt Georg Rixe geführten Verfassungsbeschwerdeverfahren hat das BVerfG mit Beschluss vom 05.12.2008 – 1 BvR 746/08 einen 1-jährigen Umgangsausschluss wegen schwerwiegenden Verstoßes gegen das Elternrecht des Kindesvaters gem. Art. 6 II GG beanstandet. Das BVerfG rügte vor allem, dass die Gerichte den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt hatten. Denn es war kein Sachverständigengutachten zu den maßgeblichen Fragestellungen eingeholt worden, das Kind war von keinem der entscheidenden Richter persönlich angehört worden und die Eltern waren in der Beschwerdeinstanz auch nicht zu den Möglichkeiten eines - ggf. begleiteten - Umgangs gehört worden. Das BVerfG beanstandete darüber hinaus, dass die Gerichte nicht die Frage eines begleiteten Umgangs oder der Einrichtung einer Umgangspflegschaft geprüft hatten, bevor sie zu einem Ausschluss des Umgangs gelangten. Schließlich hob das BVerfG die Entscheidung des Kammergerichts insoweit auf, als sie dem Beschwerdeführer Prozesskostenhilfe für die Beschwerdeinstanz versagt hatte."

Das 17-seitige Urteil im Volltext unter http://www.baltesundrixe.de/images/1bvr74608.pdf , sicher auch demnächst beim BVerfG selbst.


Anwalt Rixe in Bielefeld fällt mittlerweile auf. Er hat schon mehrere Verfahren bis zum BVerfG erfolgreich durchgezogen. Er dürfte der Anwalt sein, der die letzten Jahre auf dem Rechtsweg am Meisten für Väter und Kinder erreicht hat, darunter absolute Highlights wie 1 BvR 311/08 (Wille des 11jährigen Kindes muss beachtet werden) oder 1 BvR 1265/08 (innerstaatliche Kindesentführungen, ging zwar verloren aber in der Sache hat es einiges bewirkt). Auffällig ist auch die grosse Zurückhaltung des BVerfG bei der Veröffentlichung all dieser Verfahren, keine Pressemeldung, späte Veröffentlichung, Schweigen. Rixe hingegen veröffentlicht Urteile teiweise sogar im Volltext, auch das hebt ihn positiv von den meisten seiner Kollegen ab. Für das hier besprochene Verfahren verdient er nur Prozesskostenhilfe, der Vater hat nichts mehr. Interessanter Mann, der interessante Sachen macht. Ein bisschen Werbung darf deswegen erlaubt sein.


Diesmal bekam das Kammergericht Berlin von der zweiten Kammer des 1. Senats des BVerfG eins auf den Deckel. Einstimmig. Zugrunde liegt eine lange Story, wie sie sehr viele Väter kennen. Bei der ersten Klage auf Umgang 2002 ist das Kind drei Jahre alt. Danach geht es so la la zäh vor sich hin, Gericht meint, stundenweiser Kontakt nur alle 14 Tage müsse genügen, Gutachterin sieht keine Probleme. Kind will auch übernachten. Neuer Gutachter, der die Wohnsituation des Vaters prüft, der ganze teure Schwachsinn, der immer angewendet wird wenn ein Vater nicht gleich aufgibt. Weiter mit Umgangsabsagen, erste Anzeichen dass die Manipulationen der Mutter beim Kind anschlagen, Versuche ein Zwangsgeld zu beantragen, neue Umgangsregelung, schliesslich wird eine neue Jugendamtsmitarbeiterin zuständig, die nur die Mutter anhört und dann beschliesst, einen Umgangsausschluss zu unterstützen. Bruch, Blockade, neue Klage, Pflegerin wird bestellt, schliesslich will das Kind nicht mehr. Amtsgericht schliesst Umgang für ein Jahr aus. Draufhauen, damit endlich Ruhe ist, so klingt das. Ein Rechtslabyrinth, wie es Kafka nicht besser hätte beschreiben können.

"Der Verfahrensgang vom 5.4.2002 bis zum 7.6.2007 zeige, dass sich die Vater-Kind-Beziehung von einer beiderseitig liebevollen und unbefangenen zu einer angstbesetzten, das Kind psychisch schädigenden entwickelt habe. (...) Die Kindsmutter habe es geschafft, das Kind in einen großen Loyalitätskonflikt zu bringen" und so weiter.

Der Vater macht auf dem Gerichtsweg weiter. Er wird abgewiesen, auch die Verfahrenspflegerin ist dagegen. Man will alles beenden, auch die Anhörungsrüge wird abgewiesen. Aber er gibt nicht auf: Verfassungsbeschwerde wegen fehlender Anhörung des Kindes und der Eltern, Versagung der Prozesskostenhilfe.

Die kriegt er jetzt gemäss BVerfG. Und auch allem anderen wird vollumfänglich stattgegeben. Mit teilweise knackigen Sätzen: "Hierbei fällt insbesondere ins Gewicht, dass die erkennenden Richter es aus verfassungsrechtlich nicht tragfähigen Gründen unterlassen haben, das Kind persönlich anzuhören, um sich einen eigenen Eindruck von den Bindungen des Kindes zu verschaffen", "dies gilt sowohl für das Amtsgericht (...) aber auch für das Kammergericht". Und noch einiges mehr, auch über die Versagung von Prozesskostenhilfe: Es ist deshalb davon auszugehen, dass das Kammergericht bei der Beurteilung des Anspruchs auf Gewährung von Prozesskostenhilfe eine unzulässige Betrachtung im Nachhinein vorgenommen und damit die Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verkannt hat". Schwerer Tobak, jetzt haben es die betreffenden Richter von höchster Stelle attestiert bekommen, dass sie das Rechtsstaatsprinzip verletzen.

Die Begründung liest sich wie eine deftige Standpauke über unfähige Richter. Alles wird zurückverwiesen mit Anweisungen, wie es diesmal zu machen ist. Diese Anweisungen sind auch für andere Väter interessant, sie bilden eine Checkliste, auf die man pochen kann, die Gerichte zu beachten haben.
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#2
Mein erster Gedanke war: „Operation gelungen, Patient tot.“
Das arme Kind wird jetzt wieder zwischen den Elternfronten zerrieben. Kann das die Lösung sein?
Habe die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die du nicht ändern kannst.
Habe den Mut, Dinge zu ändern, die du ändern kannst,
und habe die Weisheit, das Eine von dem Anderen zu unterscheiden.
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#3
(27-01-2009, 09:23)borni schrieb: Kann das die Lösung sein?

Für das Kind: der Vater bleibt präsent. Es muß ihn nicht erst suchen, wenn es volljährig ist. Sonst hast Du natürlich recht.

Für alle anderen ein Signal, das hoffentlich so verstanden wird, dass Väter nicht ausgebootet werden können und das dann in dem einen oder anderen Fall auch nicht versucht wird. Diese Versuche, die gemacht werden, weil sie Aussicht auf Erfolg haben, sind ja so verheerend. Wenn von vornherein bei Mutter und Anwalt die Meinung herrscht, dass das nicht klappen kann, wird schon am Anfang anders gehandelt. Das ist es ja, was dem deutschen Rechtssystem vor allem vorzuwerfen ist, dass es so uneindeutig ist, dass alles als Ergebnis möglich ist. Auch die abstrusesten Zielsetzungen kommen so zum Zuge.

Für andere eventuell schädlich, weil aus dem Urteil auch herauszulesen ist, welche Anforderungen gestellt werden und man dasselbe dann eben richtig und unanfechtbar versucht. Eine Art Rezeptbuch zum garantierten Ausbooten des Vaters.

Wirklich helfen würde natürlich nur die Aussage "Vater bleibt Vater", ob es der Mutter gefällt oder nicht.
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#4
Klar, im jeweiligen Fall ist die Milch meistens schon verschüttet. Aber keiner dieser Väter klagt nur wegen sich selbst. Jeder weiss, dass BVerfG-Urteile bindend sind, Signalwirkung haben und manchmal sogar bestehende Paragrafen umwerfen können. Als Einzelperson gibt es für solche auslösenden Faktoren ansonsten überhaupt keinen Weg, ausser sich zum Justizminister wählen zu lassen. Deshalb helfen solche Verfahren allen anderen Betroffenen.

Die Checklisten sind auch nicht schlecht, betreffen sie doch das "handwerkliche" der Richter. Die Kenntnis der aufgeführten Punkte darin hilft der Gegenseite nicht wirklich, Anhörung des Kindes und Anhörung der Eltern sind keine Geheimnisse. Wird das unterlassen, macht es das der Gegenseite um so leichter.


In letzter Zeit hat sich das BVerfG überdurchschnittlich oft mit Umgangsrecht, Sorgerecht und überhaupt Familienrecht beschäftigt, so mein Eindruck. Eine Vielzahl von Fällen wurde zur Entscheidung angenommen, manchmal sogar sehr parallel Gelagerte. Dabei hat sich auch ein klarer Trend abgezeichnet, auch in dem was unter Kindeswohl verstanden wird. Kleinkindübernachtung, Anhörung des Kindes, Aufenthaltsbestimmungsrecht, Kontinuitätsprinzip - Wille und Bedürfnisse des Kindes werden vom BVerfG generell stärker betont wie früher. Mir ist, als schwinge da Unbehagen mit über die gegenwärtige Familienrechtspraxis der OLGs mit und auch Unbehagen über frühere eigene Entscheidungen. Tatsache ist, dass sich das BVerfG früher ungern und zurückhaltend über umgangsrechtliche Fälle geäussert hat und nun strömen die Urteile nur so.

Zeitlich gesehen fällt die Entwicklung mit dem Entsetzen über das Sorgerechtsurteil des BVerfG 2003 zusammen, das von den folgenden Jahren bis heute andauert, eine schwärende offene Wunde. Das wissen auch die Richter und es hat sie wohl überrascht, wie eindeutig negativ die Rezeption des Urteils war. Danach ist der Fokus stärker auf die Kinder geschwenkt. Ich glaube, das war kein Zufall.
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#5
Interview mit Papier (BVerfG-Präsident) in der WELT:

Aber wir befassen uns durch diese Individualklagen regelmäßig mit Themen, die nah am Alltag der Bürger sind; zum Beispiel, wenn wir über das Umgangsrecht eines Vaters mit seinem nicht ehelichen Kind entscheiden...
http://www.welt.de/politik/article322251...-mehr.html

Wenn Herr Papier dies explizit erwähnt, scheint es da viel Arbeit für das Gericht zu geben.
Habe die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die du nicht ändern kannst.
Habe den Mut, Dinge zu ändern, die du ändern kannst,
und habe die Weisheit, das Eine von dem Anderen zu unterscheiden.
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#6
Zeit für eine Nachschulung, Herr Papier. Bei Richtern besonders wichtig und besonders gerne ignoriert, die Damen und Herren stehen ja über allem. Je höher das Gericht, desto wichtiger. Das "nicht eheliche" beim Umgangsrecht ist nämlich vor 11 Jahren, seit 1998 völlig irrelevant geworden. Papier befindet sich offenbar geistig noch vor der lange vergangenen letzten Kindschaftsrechtsreform.
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#7
hm...

Sagt man nicht "Papier ist geduldig" ?

Big Grin Big Grin Big Grin
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