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OLG München 5St RR (II) 60/10 zerfetzt Verurteilung Unterhaltspflichtverletzung
#49
Hier das Gutachten, Namen und Orte anonymisiert.


Auf Veranlassung des Landgerichts Stadt vom 10.05.11 erstatte ich ein freies fachärztliches Gutachten über Herrn Camper.

Das Gutachten stützt sich auf die vorliegenden Gerichtsakten sowie den übersandten Befunden der behandelnden Ärzte.

Im Gutachten soll zu folgenden Fragen Stellung genommen werden:

1. Hätte der Angeklagte aufgrund seines gesundheitlichen Zustands im Zeitraum 01.05.2006 - 31.07.2008 seine Tätigkeit bei der Firma Pech auch nach dem 31.03.2006 weiterhin ausüben können? Verlor er den Arbeitsplatz unverschuldet krankheitsbedingt?

2. War der Angeklagte im Zeitraum 01.05.2006 - 31.07.2008 aufgrund seines gesundheitlichen Zustandes generell in der Lage, einer Vollzeit-Erwerbstätigkeit nachzugehen?

3. Sollte die Frage Ziffer 2 verneint werden, ist dazu Stellung zu nehmen, wozu er allenfalls in der Lage gewesen wäre.

4. War es aufgrund des gesundheitlichen Zustands des Angeklagten im Zeitraum 01.05.2006 31.07.2008 erforderlich, dass der Angeklagte mehrwöchige Urlaubsreisen vornahm, insbesondere Italien?

5. Sollte die Frage Ziffer 4 bejaht werden, ist dazu Stellung zu nehmen, in welcher Dauer und welcher Art im genannten Zeitraum Urlaubsreisen gesundheitsbedingt erforderlich waren.

6. War im Zeitraum 01.05.2006 - 31.07.2008 für den Angeklagten das Tragen von orthopädischen Schuhen mit Einlagen erforderlich?

7. Sollte die Frage Ziffer 5 bejaht werden, ist dazu Stellung zu nehmen, welche Mehrkosten dafür in dem genannten Zeitraum monatlich anfielen.

Vorgeschichte nach Aktenlage:

Laut Arztbrief des Klinikums Großkopf vom 07.02.2005 besteht bei Herrn Camper ein angeborener Herzfehler, eine sogenannte Fallot-Pentalogie. Erstmalige Herzoperation mit VSD-Verschluss und Pulmonalarteriensprengung 1964. 2004 wurde in Stadt ein peristierendes Foramen ovale mit Schirmchen verschlossen. Vorausgegangen war ein Schlaganfall im Bereich des Thalamus im Februar 2004. Im Februar 2005 wurde eine erfolgreiche Ablation bei verborgenem WPW-Syndrom (Herzrhythmusstörungen) durchgeführt.

Gutachten Dr. Zisch vom 15.02.2006 bezüglich Arbeitsfähigkeit für die Agentur für Arbeit Stadt:

Es wird ein vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte bis mittelschwere Arbeit ohne Dauernachtschicht, ohne anhaltend hohe Anforderungen an die Bewältigung komplexer emotionaler und sozialer Konfliktsituationen, nicht an Hitzearbeitsplätzen, ohne extreme Witterungseinflüsse, ohne häufiges Heben und Tragen mittelschwere bis schwerer Lasten ohne mechanische Hilfsmittel attestiert.

Arbeitsmedizinisch derzeit kein grundsätzlicher Widerspruch zwischen dem persönlichen Leistungsbild und dem Anforderungsprofil eines Verkäufers, wenn häufiger konfliktgeladener Publikumsverkehr (wie z.B. Reklamationsannahme) vermieden werden kann.

Lt. Arztbrief von Herrn Dr. Rumms vom 08.06.06 wurde eine schwere Durchblutungsstörung des rechten Beines festgestellt, so dass die Gehstrecke auf 40 Meter reduziert war.

Am 26.07.2006 wird operativ ein ileo-femoraler Bypass rechts angelegt, komplikationsloser postoperativer Verlauf.

Laut Arztbrief von Herrn Dr. Knall Belastungs-EKG am 20.03.2007, dabei werden 75 Watt erreicht, Abbruch wegen peripherer Erschöpfung. Keine kardiologischen Auffälligkeiten.

Arztbrief Zentralklinikum Stadt Neurologische Klinik vom 30.08.2007, stationäre Behandlung wegen TIA im Mittelhirn bei Verdacht auf Basilarisspitzenthrombose mit kurzzeitiger Intubation und maschineller Beatmung.

Laut Arztbrief Zentralklinikum Stadt Herzchirurgie, trat 2007 ein erneuter Schlaganfall (Basilarisinsult) auf bei Verdacht auf arterio-arterielle Embolie. Es wurde deshalb ein spezielles Gerät (Loop-Rekorder) zur Detektion von Herzrhythmusstörungen implantiert.

Psychiatrische Vorgeschichte:

Laut Arztbrief vom 16.09.2003 vom Bezirkskrankenhaus Stadt über die stationäre Behandlung vom 25.07. - 11.09.2003 besteht bei Herrn Camper eine paranoide Persönlichkeitsstörung mit querolatorischen Zügen und eine Trigeminusneuralgie links. Wegen Suizidalität musste Herr Camper gemäß Artikel 10/1 des Unterbringungsgesetzes untergebracht werden. Während der stationären Behandlung konnte die formale Denkstörung nur geringfügig gebessert werden, prognostisch wurde ein eher ungünstiger Verlauf angenommen.

Desweiteren liegen verschiedene Atteste von Herrn Dr. Demenzius, Arzt für Neurologie und Psychiatrie vor:
Laut 27.01.2005 sollte eine berufliche Belastung über 40 Stunden nicht stattfinden. Laut 03.03.2005 ist Herr Camper in seinem Beruf wieder voll einsetzbar.
Laut 15.06.2005 handelt es sich bei Herrn Camper um eine relativ starre Persönlichkeit mit entsprechenden daraus resultierenden Schwierigkeiten am Arbeitsplatz. Es kann von einer vollschichtigen Leistungsfähigkeit ausgegangen werden.
Laut 10.07.2006 Diagnose eines Carpaltunnel-Syndroms rechts mit OP-Indikation.
Laut 04.06.2007 ist aus nervenärztlicher Sicht gegen einen vorgesehenen Urlaub am italienischen Meer nichts einzuwenden.
Laut Attest unbekanntem Datums bescheinigt Herr Dr. Luftikus, dass bei der bestehenden Symptomatik entlastende Urlaube dringend erforderlich sind, die dem Bedürfnis von Herrn Camper entsprechend auch außerhalb Deutschlands stattfinden sollten. Überwertige Fixierung auf italienische Gefilde, wobei die Kostenfrage dort im gleichen Maßstab anzusetzen wäre, wie in Deutschland.

Laut nervenärztlichem Gutachten für das Sozialgericht vom 13.10.2004 fanden sich bei der aktuellen Untersuchung keine neuen neurologischen Aspekte. Eine vordiagnostizierte und in der Aktenlage auftauchende Trigeminusneuralige dürfte dem psychosomatischen Symptomenkomplex zuzuordnen sein. Schlaganfallfolgen auf neurologischem Gebiet waren nicht nachweisbar bei gesichertem Zustand nach Schlaganfall in den Stammganglien beidseits.

Laut Arztbericht von Herrn Dr. Kreisch, Facharzt für Psychotherapeutische Medizin, vom 11.05.2006 besteht eine depressiv ängstliche Entwicklung bei Persönlichkeitsstörung. Arbeitsunfähigkeit wurde von Herrn Dr. Kreisch nie festgestellt.
Laut Arztbrief von Herrn Dr. Kreisch vom 22.04.2008 unveränderter Befund. Weiterhin depressiv ängstliche Entwicklung bei Persönlichkeitsstörung. Fortsetzung der supportiven Kurzzeitpsychotherapie.

Laut neurologisch-psychatrischem Gutachten vom 07.08.2007 von Herrn Dr. Demenzius, Arzt für Neurologie und Psychiatrie wurden folgende Diagnosen festgestellt:
Zustand nach Thalamusinfarkt beidseits, Carpaltunnel-Syndrom rechts, Lumbalsyndrom. Bezüglich der letzten Tätigkeit als Verkäufer wird Herr Camper für 3 bis unter 6-stündig arbeitsfähig gehalten.
Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt besteht Arbeitsfähigkeit für 6 Stunden täglich und mehr bei leichten Arbeiten, auswechselnder Ausgangslage, zeitweise im Sitzen in Tagschicht ohne hohe Anforderungen an das Konzentrations- und Reaktionsvermögen, ohne Überwachung und Steuerung komplexer Arbeitsvorgänge, ohne Verantwortung für Personen und Maschinen zu ebener Erde, ohne häufiges Bücken, ohne Heben, Tragen und Bewegen von Lasten, ohne Zwangshaltung, ohne Tätigkeit mit erhöhter Unfallgefahr.

Fachärztliches Gutachten von Herr Dr. Prügel vom 11.10.2006:

Im Belastungs-EKG Abbruch nach 11/2 Minuten bei Belastungsstufe 75 Watt wegen allgemeiner Erschöpfung. Zwei ventrikuläre Extrasystolen. Keine kardiologischen Auffälligkeiten.

Echokardiographisch Vergrößerung des rechten Vorhofs und des rechten Ventrikels. Der linke Vorhof ist grenzwertig groß. Geringgradige Mitralinsuffizienz.

Normale Dopplerdrucke an beiden Beinen.
Beurteilung: bei Zustand nach ileo-femoralen Bypass rechts gute periphere Durchblutung.

Laut Stellungnahme der Firma Pech zur Begründung der Kündigung von Herm Camper lagen folgende Gründe vor: massive Kundenbeschwerden (unangebrachte Witze, mangelnde Distanz, Beleidigungen), schmuddelige Kleidung, mangelnde Körperhygiene, Nutzung des Internets für Privatzwecke, Versenden der Privatpost durch die Firmenpost, Ablehnung von Herrn Camper bestimmte Produkte überhaupt zu verkaufen. Außerdem wurde Herr Camper zweimal mit Polizeiaufgbot wegen Suizidgefahr abgeholt. Stimmungslage und Arbeitsleistung schwanken stark.

GUTACHTERLICHE BEURTEILUNG

Zu Frage 1) wird wie folgt Stellung genommen:

Bei Herm Camper wurde im Juni 2006 eine schwere Durchblutungsstörung des rechten Beines festgestellt und am 26.07.2006 operativ saniert. Insofem ist davon auszugehen, dass vom Zeitraum 01.05.2006 bis 30.09.2006 Arbeitsunfähigkeit bestand. Am 30.08.2007 wurde Herr Camper wegen V.a. Basilarisspitzenthrombose stationär im Zentralklinikum Stadt behandelt mit kurzzeitiger Intubation und maschineller Beatmung. Auf eigenen Wunsch wurde er nach relativ kurzer Zeit entlassen. Insofem ist davon auszugehen, dass Arbeitsunfähigkeit vom 30.08.2007 bis 31.10.2007 bestand. Für den übrigen Zeitraum wurde laut neurologischpsychiatrischem Gutachten von Herm Dr. Demenzius festgestellt, dass Herr Camper bezüglich der letzten Tätigkeit als Verkäufer für 3- bis unter 6-stündig arbeitsfähig war. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wurde Arbeitsfähigkeit für 6 Stunden und mehr attestiert.
Mein eigenes Gutachten vom 11.10.2006 und die übrigen zitierten ärztlichen Befunde stützen diese Feststellung.

Insofern ist die Frage wie folgt zu beantworten: laut Aktenunterlagen und den sich daraus ergebenden Konsequenzen bestand Arbeitsunfähigkeit vom 01.05.2006 bis 30.09.2006 sowie vom 30.08.2007 bis 31.10.2007. In der übrigen Zeit vom 01.05.2006 bis 31.07.2008 hätte Herr Camper seine Tätigkeit bei der Firma Pech für 3- bis unter 6-stündig ausüben können.

In der Begründung der Firma Pech für die Kündigung von Herm Camper werden überwiegend verhaltensbedingte Punkte angeführt: schmuddelige Kleidung, mangelnde Körperhygiene, Nutzung des Intemets für Privatzwecke, Verschicken der Privatpost durch die Firmenpost usw. sind nicht unbedingt Folge der psychiatrischen Auffälligkeiten. Die Herm Camper attestierte paranoide Persänlichkeitsstörung und Suizidalität begründen nicht zwangsläufig die genannten Verhaltensweisen am Arbeitsplatz. Die sehr anschaulichen Schreiben der Firma Pech vermitteln den Eindruck, dass Herr Camper trotz seiner psychiatrischen Erkrankung weiterbeschäftigt werde hätte können, wenn sich Herr Camper im Rahmen seiner Möglichkeiten den betrieblichen Notwendigkeiten angepasst hätte.
Insofern ist die Frage ob er seinen Arbeitsplatz unverschuldet verloren habe zu verneinen.

Zu Frage 2):
Die vorliegenden Gutachten, insbesondere das Gutachten von Herrn Dr. Demenzius, bescheinigen eine vollschichtige Leistungsfähigkeit für den Zeitraum vom 01.05.2006 bis 31.07.2008 bis auf die oben angeführten Arbeitsunfähigkeitszeiten aufgrund der Durchblutungsstörung des Beines und der stationären Behandlung im Zentralklinikum Stadt.

Frage 3) entfällt

Zu Frage 4)
Aus sozialmedizinischer Sicht ergeben sich aus den vorliegenden Diagnosen keinerlei Indikationen, mehrwöchige Urlaubsreisen bzw. Reisen nach Italien vorzunehmen.

Aus sozialmedizinischer Sicht könnte es notwendig sein z.B. bei Allergikern einen Aufenthalt am Meer oder in großer Höhe zu verordnen bzw. bei Patienten mit Schuppenflechte einen Aufenthalt am Toten Meer. Diese Aufenthalte werden bei medizinischer Indikation in Form von Rehabilitationsmaßnahmen mit einer strukturierten Behandlung durchgeführt. Bei Herm Camper ist weder eine Indikation ersichtlich noch eine strukturierte Rehabilitationsbehandlung. Dass eine querulatorische Persönlichkeit wie Herrn Camper auf einen Italienurlaub besteht, ist als Teil seiner Erkrankung zu sehen. Es ist allerdings aus sozialmedizinischer Sicht unverständlich, dass der behandelnde Neurologe dies noch mit einem Attest unterstützt.

Zu Frage 5)
Wie bereits oben dargestellt ist Herm Camper Urlaub zuzubilligen wie jedem anderen Erwerbstätigen. Urlaubsreisen sind medizinisch nicht zu begründen.

Zu Frage 6)
Ob für den genannten Zeitraum die Notwendigkeit bestand, orthopädische Schuhe mit Einlagen zu tragen, lässt sich aus den vorliegenden Unterlagen nicht beurteilen. Bei meiner Untersuchung vom 11.10.2006 war davon nicht die Rede. Er selber sagte zu dem Zeitpunkt "er könne jetzt wieder lange Gehstrecken zurücklegen".

Dr. med. A. Prügel
Chefarzt
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RE: OLG München 5St RR (II) 60/10 zerfetzt Verurteilung wegen Unterhaltspflichtverletzung - von p__ - 02-10-2011, 21:07

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