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BGH XII ZR 150/05: Mehr Unterhalt bei Ganztagsbetreuung
#1
Entscheidung war erst gestern, Urteilstext liegt noch nicht vor, nur die Pressemeldung. Der Vater ist fast Mangelfall, jedenfalls nahe am Selbstbehalt. Tatsächlich verfällt der BGH wieder einmal auf absolut krumme Erfindungen. Damit die Mutter mehr Geld verdienen kann, soll der Vater den Kindergarten bezahlen... da heutzutage viele Kinder den ganzen Tag in den Kindergarten oder in den Hort gehen, würde das eine Unterhaltserhöhung für einige hunderttausend Väter um ca. 45% bedeuten. Mit dem Kindergeld und dem steuerlichen Vorteil kommt die Mutter bei einem Drei- bis fünfjährigen Kind auf ca. 440 EUR Einnahmen. Vor ein paar Jahren habe ich mit diesem Betrag mein Studium in einer Großstadt finanziert incl. Miete fürs Wohnheim, Essen, fahren, einfach alles.

Hahne und die Fünferbande drehen völlig durch. Zeit, sie unter Betreuung zu stellen.

Urteil vom 5. März 2008 - XII ZR 150/05

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Noch ein paar Gedanken dazu, vorbehaltlich einer BGH-Urteilsbegründung die anderes aussagt. Das Urteil hat auf jeden Fall eine enorme Tragweite, Prinzipien des Kindesunterhalts werden dadurch umgeworfen.

Betreuungsmehrbedarf war bisher z.B.: Privatschule, Nachhilfeunterricht, Behinderung des Kindes. Es musste eine Begründung vorhanden sein, ohne Grund durfte das Kind nicht einfach auf eine teure Privatschule geschickt werden. Mehrbedarf haben beide Eltern anteilig ihrer Einkommensverhältnisse zu bezahlen. Bei einem behinderten Kind war ausserdem zu beachten, dass auch eine erhöhte Betreuungsleistung des Naturalunterhaltspflichtigen anfällt, die bei der Verteilungsquote für den Mehrbedarf zu berücksichtigen ist (BGH FamRZ 1983, 689, 690). Eine Ganztagesbetreuung müsste demnach, wie es MitGlied schon sagte, als verringerte Betreuungsleistung zählen und damit ebenfalls die Verteilquote beeinflussen.

1993 hat das OLG München bereits festgestellt, dass Hortkosten, Unterbringung in einer Tagesstätte oder Tagesheimschule berufsbedingte Aufwendungen sind und ein Mehrbedarf nur durch pädagogische, schulische oder krankheitsbedingte Gründe (zB Lernbehinderung) entsteht. Davon rückt der BGH nun ab.

Eingeführt wird nun auch hier das Prinzip: Alle Forderungen werden aufs Kind und damit die Mutter konzentriert. Alles Ausschüttungen davon erhält die Mutter, z.B. die Steuerersparnis für die Kindergartenkosten oder die vorteilhaftere Steuerklasse 2. Das Kind bleibt formal mittellos und voll unterhaltsbedürftig, was der Vater allein zu befriedigen hat. Dessen Kosten perverserweise nicht steuerlich relevant sind.

Dieses Konzept hat noch ganz andere Auswirkungen. Auch die oft nicht ganz billigen Ferienbetreuungen sind nun Mehrbedarf. Auch Babysitter, Tagesmütter etc. könnten nun als Mehrbedarf geltend gemacht werden, solange sie sich nur irgendwie mit der mütterlichen Erwerbstätigkeit begründen lassen.

Die Rechnung ist irgendwie irrwitzig. Schulhorte kosten ohne Essensgeld bis zu 150 EUR im Monat. Ein Vater mit z.B. 1520 EUR Verdienst und keinen weiteren Unterhaltsverpflichtungen würde in Altersstufe 3 nun bis zu 420 EUR + 150 EUR = 570 EUR Unterhalt an die Mutter bezahlen müssen, 950 verbleiben ihm, wovon er noch Umgangskosten zu finanzieren hätte. Sein Unterhalt wäre sogar höher wie wenn er einen volljährigen Studenten alleine unterstützen müsste.

Die Mutter müsste mit einem gering bezahlten Vollzeitjob auch keinen Beitrag zum Mehrbedarf leisten. Als Friseuse, Gesellschafterin, Bäckereiverkäuferin etc. könnten die gesamten Kosten beim Vater landen.

http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bi...f82&client=[%2712%27%2C+%2712%27]&client=[%2712%27%2C+%2712%27]&nr=43841&pos=0&anz=1


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Uneheliche Mütter wären beim §1615 BGB benachteiligt. Und weil uneheliche Mütter so benachteiligt sind, sind Kindergartenkosten auch keine berufsbedingten Aufwendungen, schließlich hätten geschiedene Mütter ja einen längeren Unterhaltsanspruch. Eine recht wirre Konstruktion die der BGH einem hier verkaufen will. Sehr sicher scheint er sich seiner Sache auch nicht zu sein, entscheidet aber letztlich das der Kindergartenplatz (auch ganztägig) dem Bedarf des Kindes zuzurechnen ist. Dann singt er noch ein Loblied auf die Kindergärten, weil damit das Erziehungsverhalten der Eltern (und auch deren Kinder) kontrolliert werden könne.
Ein krasser Widerspruch ist auch drin: Unter Punkt 21 nennt das Gericht einen Ganztagsplatz in erster Linie kindesdienlich. Unter Punkt 10 hieß es dagegen, es bestehe kein Zweifel daran, daß das Kind im Interesse der Mutter einen Ganztagsplatz hat, damit diese Vollzeit arbeiten könne, während unter Punkt 22 die Erwerbstätigkeit des Elternteils nur einen "Nebeneffekt" darstelle und beim Kindergartenbesuch erzieherische Aufgaben im Vordergrund stünden. Ja, wie denn nun? Der BGH dreht es sich hin, so wie er es gerade braucht.
Weiterhin hat er ein riesiges Einfalltor geöffnet, indem er den Tabellenunterhalt nicht als zu zahlenden Endbetrag deklariert, sondern behauptet Kinderbetreuungskosten wären nicht in jedem Fall damit abgegolten. Papa hat also die A-Karte. Und gleich noch eine, weil er regelmäßige Zahlungen nicht steuerlich als Sonderausgaben absetzen kann. Und dann noch eine weil der BGH ihm nur ungefähr hälftigen Mehrbedarf zugesteht.

Der deutsche Weg ist im Ausland wohl kaum noch vermittelbar. In Irland sind wesentlich mehr Frauen berufstätig als hier, obwohl es dort kaum Krippen oder Ganztagsplätze gibt; Verwandte, Freunde und Nachbarn betreuen dort die Kinder. In Schweden gibt es dagegen ein flächendeckendes Betreuungsangebot, aber im Gegenzug keinen Unterhalt für Ex-Partner. Nur hier in Deutschland schafft man das Kunststück den Unterhaltsanspruch bei Ganztagsbetreuung sogar noch zu erweitern. Grenzenlose Wahlfreiheit für Mütter, Zahlungspflicht für Väter, ein im Kern krankes System.
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