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Trends im Familienrecht anderer Länder
#1
Familienrecht variiert über die Länder hinweg sehr viel stärker als beispielsweise Strafrecht und ist dort auch mehr Reformen und Änderungen unterworfen. Ein Blick zu den aktuellen Entwicklungen lohnt sich immer.

In den USA und GB steigen die Fälle, in denen Trennungkinder im Wechselmodell betreut werden, dort "shared parenting" und "shared residence" genannt. In Belgien wird die "hebergement egalitaire" sogar zuerst geprüft (Art. 374 Code Civil vom 14.9.2006). Der Druck auf Zusammenarbeit der Eltern ist ein genereller Trend, auch beim Sorgerecht. In den USA bezieht sich das Sorgerecht auch auf hierzulande als alltäglich bezeichnete Dinge, dazu wird bei der Trennung ein "parenting plan" ausgearbeitet, in dem detailliert zunehmend "50-50 parenting arrangement" festgelegt werden. Strittigkeit ist kein Grund, das gemeinsame Sorgerecht aufzuheben, im Gegensatz zum deutschen Zerrüttungsprinzip, das die Richter unzulässigerweise von Scheidungen aufs Sorgerecht übernommen haben.

Ein "parenting plan" kann frei sein, es gibt aber auch Vordrucke mit Vorschlägen dafür. Die Genehmigung eines Richters macht sie verbindlich. Der Inhalt kann sehr detailliert sein. Dieses Modell wurde vor einem Jahr auch in den Niederlanden eingeführt. Die Eltern haben vor der Scheidung einen "ouderschapsplan" (Elternschaftsplan) vorzulegen. Der ist zwingende Voraussetzung für einen gemeinsamen Scheidungantrag.

Mediationen sind unterschiedlich verankert, von der Pflicht dazu (Kalifornien, Norwegen) über freiwillige, aber geförderte Angebote (Frankreich) bis zu der Möglichkeit eines Beratungsgesprächs über Mediation in Deutschland.

Konflikte wegen Wegzügen des betreuenden Elternteils mit dem Kind wachsen. Dafür gibt es überall Regeln, in den USA benötigt der Wegziehende eine gerichtliche Genehmigung, in Frankreich gibts eine gesetzliche Verpflichtung zur Vorabinformation vor einem Umzug.

Besondere Aufmerksamkeit richtet man in einigen Ländern immer stärker auf hochstrittige Trennungen, vor allem deswegen weil sie enorm viele Ressourcen in Justiz und Hilfesystemen binden. So wird in den USA mit einem "parallel parenting" Sorge und Umgang ohne jeden Elternkontakt untereinander organisiert, es werden Fallgruppen geschaffen um Hochstrittigkeit zu erkennen und sehr frühzeitig separat zu behandeln, Forschung darüber findet statt.

Fortsetzung folgt.
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#2
Fortsetzung.

PACS, die registrierte Partnerschaft ohne Ehe ("Dauerverlobte") feiert in Frankreich immer grössere Erfolge. Motor waren Homosexuelle, die ihre Partnerschaft amtlich machen wollten. In der Praxis hat sich dieses Modell dann aber als Renner für Mann-Frau Verbindungen herausgestellt, 90% der registrierten Paare sind hetero. Dieses Modell breitet sich angesichts seines Erfolges aus. Inzwischen gibt es registrierte Partnerschaften auch in Belgien, den Niederlanden, Luxemburg, Spanien. Sehr interessant dabei: Je ähnlicher der Zivilpakt rechtlich einer Ehe wird, desto weniger Leute wollen ihn eingehen. Das hat sich in den Niederlanden gezeigt. Erfolgs-Knackpunkt ist dabei die Auflösung des Zivilpakts, die in Frankreich durch blosse Registrierung durch einen der Partner passiert, ohne Unterhalt, ohne Güterrechtliche Auseinandersetzung.

Wo es keinen PACS gibt, leben die Paare auch mit Kind lieber ohne Ehe zusammen wie mit Eheschliessung, in Europa betrifft das je nach Land mittlerweile 20-30%. Die Abkehr von der Ehe ist ein Megatrend, der aber nicht gross thematisiert wird und auf den das deutsche Familienrecht nicht einmal ansatzweise reagiert. Fakt ist: Dem Familienrecht laufen die Leute mit aller Kraft davon.

Weitere Länder sind in Überlegungsprozessen oder Reformen, z.B. England. Dort wird darüber gesprochen, einen Zvilpakt automatisch bei jedem Zusammenleben anzunehmen, wer das nicht will muss sich explizit dagegen auszusprechen. Das knüpft an de-facto-Ehen an, die es früher in vielen Ländern quer durch alle Kontinente gab. Manchmal wird das zu einer Art staatlich befohlener Zwangsehe, wie in Australien und auch in der Ukraine. Artikel 74 des dortigen Familiengesetzbuchs: "Leben ein Mann und eine Frau als Familie zusammen, sind aber nicht miteinander verheiratet, gehört das von ihnen während des Zusammenlebens erworbene Vermögen beiden gemeinsam, soweit nichts anderes in einem schriftlichen Vertrag festgelegt wurde." Ausserdem gibts Unterhaltsansprüche bei Kinderbetreuung oder wenn einer der Partner arbeitsunfähig geworden ist. In Slowenien gibts nicht einmal einen Unterschied zwischen der Ehe und Nichtehe, es ist nicht einmal möglich das vorab abzulehnen. Ab einer gewissen Dauer des Zusammenlebens gelten sie als Eheleute. Gütertrennung gibt es auch nicht. Der Trauschein ist nur ein weiterer Beweis dafür, aber nicht Voraussetzung.

Veränderungen finden auch bei Vereinbarungen und Güterständen statt, die Ehepartner eingehen können. Der Trend geht zu mehr wählbaren Güterständen. Im Osten war die Errungenschaftsgemeinschaft der Standard. Weniger verbindende Güterstände ähnlich der Gütertrennung werden vermehrt möglich, reformiert hat diesbezüglich Ungarn und Russland. Russland hält aber an einer gerichtlichen Inhaltskontrolle des Ehevertrages fest. In England gibt es gar kein Güterrecht, jeder hat was er hat und bei Ende der Ehe konnte ein Richter davon dem anderen ziemlich beliebig etwas übertragen, Geld oder andere Werte. Auch gegen festgelegte Vereinbarungen eines Ehevertrages, den muss der Richter nicht beachten. Dann wurde 2001 eine 50:50 Teilung eingeführt, die sich als Katastrophe erwies. Für 2012 ist die nächste Reform angepeilt, es wird wohl auf verbindlichere Eheverträge mit Inhaltskontrolle hinauslaufen.

Der internationale Trend geht zu einem sauberen Schnitt bei Eheende. Ende der gegenseitigen Verpflichtungen. Statt laufendem Unterhalt eine einmalige Ausgleichszahlung (die aber in Raten gezahlt werden kann, was von aussen betrachtet wie Unterhalt aussieht). So in Frankreich, England, Spanien. Oder gar nichts, kein Unterhalt, kein Ausgleich, wie in Schweden, Norwegen, Finnland, Dänemark und Teilen Osteuropas. Die Ehe endet maximal mit einem einmaligen Ausgleich und dann ist Schluss.

Bei Scheidungen ist das Schuldprinzip weiter auf dem Rückzug und die vorgeschriebenen Trennungsfristen werden immer kleiner. Gründe für die Scheidung werden fast nirgendwo mehr vorausgesetzt. Einvernehmliche Scheidungen sich ebenfalls auf dem Vormarsch, weil sie billiger, schneller und staatlich unterstützt sind. Belgien, Niederlande, Norwegen bezuschussen den Expartnern Schlichtung bzw. Mediation.

Im Abstammungsrecht ist die künstliche Befruchtung nun überall geregelt. Meistens sehr viel liberaler wie in Deutschland. In England, den Niederlanden, Griechenland sogar postmortal. Griechenland, Russland, Ukraine, Indien und andere Länder erlauben Leihmutterschaft, dort ist die Frau die Mutter, die das Ei geliefert hat. In einigen Ländern war es immer schon so, dass die Mutter die Frau ist, die das Kind anerkannt hat, während Deutschland immer die heilige, unangreifbar feststehende Mutter im Abstammungsrecht festschreibt. In der Folge wächst der Fortpflanzungstourismus: Man geht dorthin, wo das möglich ist, was man vorhat.

Nachdem Vaterschaft schnell und billig nachzuweisen ist, gewinnen die früher meist beiseite geschobenen biologische Väter langsam am Bedeutung hinzu und auch der Staat räumt sich überall noch mehr Rechte ein: Er behält sich in fast allen Ländern mittlerweile vor, Vaterschaft zu prüfen, wenn vermutet wird, dass sie nur wegen Aufenthaltsberechtigung oder Sozialleistungen unterzeichnet wurden. Diese Reformen gingen recht schnell, während der Reformzug für betrogene Männer sehr viel langsamer fährt und häufig noch gar nicht losgefahren ist.
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#3
Super!

Wo buddelst du sowas bloß immer aus?
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#4
Ein Tag Arbeit in der Universitätsbibliothek, Sichtung von vier Zeitschriften über Familie und Recht, diverse Recherchen in Büchern. Geht aus Zeitgründen halt nicht oft. Das liegt dann nochmal eine Weile, bis die Zeit da ist, etwas darüber zu schreiben. Wer exakte Quellen will, kann sich bei mir melden, ansonsten wäre ein Rattenschwanz von Fussnoten dazugekommen.

Vielleicht eine gute Gelegenheit, nochmal auf die verschiedenen Welten hinzuweisen, in denen Dinge passieren. Wenn man in Foren schreibt und sich täglich durchs Internet klickt, gerät man fast unweigerlich in eine Horizontfalle, weil alles nur einen Klick weit entfernt scheint: Was nicht im Internet ist, liegt hinterm Horizont. Dort fängt es aber erst richtig an. Da gibt es Fachzeitschriften, Fachbücher, direkten Austausch mit der Rechtspflege, Kongresse, Fortbildungsveranstaltungen, hochkompetente Fachleute die im Internet niemals etwas schreiben, institutionsinterner Austausch....

Anders gesagt: Weg vom Bildschirm oder man versumpft dort.
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#5
Auch in den USA läuft ein Trend. Dort ist das Unterhaltsrecht Einzelstaatensache. Je nach Staat gab es durchaus auch lebenslangen Ehegattenunterhalt. Eine Reihe von Reformen der letzten Jahre hat das Recht in den Ländern umgestaltet.

Beispiel Texas:

- Unterhalt grundsätzlich auf drei Jahre begrenzt
- Unterhaltshöhe darf maximal 20% des Einkommens des Unterhaltspflichtigen erreichen, jedoch niemals mehr wie 2500$ egal was der Pflichtige verdient.

Im Moment reformiert Massachusetts mittels des "Alimony Reform Act of 2011"

- Unterhalt darf maximal 50% (kürzere Ehen) bis 70% der Ehedauer laufen
- Unterhalt ist grundsätzlich vorab zu befristen
- Mit dem Rentenalter des Pflichtigen ist Unterhalt zu Ende
- Allgemeine Senkung der Höhen.

Die Ehegattenunterhaltsregelungen der verschiedenen Staaten: http://www.millenniumdivorce.com/article...upport.asp

Der Trend ist klar: Kürzer, befristet, niedriger, begrenzter. Manchmal mit grossen Schritten, manchmal mit verlogenen Scheinschritten (Deutschland). Aufhalten lässt sich das nicht, nur verzögern.
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#6
Auch in Spanien soll eine Unterhaltsreform durchgeführt werden, da durch die hohe Arbeitslosigkeit (im Moment ca. 22% Gesamtspanien) immer mehr leisungsunfähige KU Schuldner entstehen.
Zur Erinnerung: In Spanien laufen nur dann KU Schulden auf, wenn der Pflichtige bei Arbeitslosigkeit versäumt mit seinem Paroschein (Arbeitslosigkeitsbescheinigung) etweder bei dem Berechtigten oder beim Gericht diesen nicht vorlegt (was aber in 90% der Fälle nicht passiert).
Arbeitslosengeld kann im Moment noch nicht gepfändet werden, das soll sich aber ändern und alles über 900 Euro Paro soll nach den Umständen des Falls dann gepfändet werden können wenn der Schuldner nicht beweisen kann, das der Berechtigte oder das Gericht nicht über die Arbeitslosigkeit unterrichtet wurde (auch rückwirkend).

Es mag sich jetzt nach einer Verschärfung anhören, aber wer seinen Hintern bewegt, der braucht keine Angst zu haben, das sein ALG gepfändet wird. Ausserdem sind spanische ALG Gelder nur sehr selten höher als 900,- Euro.

Eine weitere Reform sieht schon etwas schärfer aus, leider.
Es soll jetzt durch ein zusätzliches Gesetz die Pfändung explizit wegen KU Schulden erleichtert werden. Die Arbeitgeber sollen jetzt verpflichtet werden, dem Gläubiger Informationen über den möglichen Betrag der Pfändungen Auskunft zu erteilen. Dies soll aber nur dann geschehen, wenn der Berechtigte einen vom Gericht ausgestellten Auskunftsantrag (darf nicht älter als 3 Monate alt sein) erhalten hat. Vorher wurde das vom Gericht übernommen und soll auf die Berechtigten übertragen werden damit die Gerichte entlastet werden.
Der zu pfändete Betrag soll dann auf den vom Berechtigten angegebenen Konto überwiesen werden. Die Prozedur muss jährlich erneuert werden ( es gibt in Spanien keinen unbefristeten Titel wegen KU).

Kontopfändungen dürfen weiterhin nur von Gericht angeordnet und durchgeführt werden. Hier sollen jetzt aber höhere Schonbeträge für Schuldner mit eigener Inmobilie oder neuer Familie durchgesetzt werden um für eventuelle unvorhergesehnene Ausgaben geschützt zu werden.

Weiterhin sind Pfändungen in Spanien sehr selten und kaum durchzusetzen, da die prozeduren sich sehr lang hinziehen und sehr ineffizient sind. Ein Pfändung in Spanien kann teilweise bis zu 5 Jahre dauern, im Durchschnitt aber mindestens 3 Jahre, auch bei KU. Wenn der Schuldner in der Zeit den Arbeitgeber wechselt, was nicht selten der Fall ist, geht die Prozedur wieder von vorn los. Wechselt der Schuldner sogar die Provinz (Bundesland), dann ändert sich auch der Gerichtsstand und somit wird es noch komplizierter.
Dazu kommen noch die Unsitten der halben Nomina (gehaltsbescheinigung), die eine Pfändung sehr schnell ins Leere laufen lassen weil es nur der Mindestbetrag ist, der auf dem Gehalt auftaucht und somit unpfändbar ist.

Ein deutscher Anwalt meinte einmal, das die Gerichte dazu übergegangen seien, auch unter dem Mindestgehalt zu pfänden wenn es um KU geht, was auch versucht wurde, aber der Supremo (BGH) hat dem vor kurzem wieder einen Riegel vorgeschoben und die Pfändung unter dem Mindestgehalt für illegal erklärt und somit musste diesen Schuldnern RÜCKWIRKEND die unberechtigten Pfändungen wieder zurückgegeben werden. Dies mussten sogar die die Länderkassen aus ihrem Buget erstatten da die Berechtigten das Geld meist verbraucht hatten (die haben jetzt wiederum Schulden bei den Länderkassen).
Aber auch hier, wie man sich es sicher denken kann, die Richter, die das veranlasst hatten, kamen ungeschoren davon. Dies soll aber in Zukunft nicht mehr möglich sein, da in solchen Fällen, wenn ein Richter sich etwas "neues" ausdenkt, muss er in der Richterkammer erst eine Anfrage stellen, die dann geprüft wird, im Zweifelsfall bis zur obersten Stelle in Madrid. Eine sogenannte "Verbiegung" oder eine "eigene richterliche Neuinterpretiereung" der spanischen Gesetze soll somit entgegengewirkt werden.

gleichgesinnter

Wenn die Banken für ihre Schulden nicht einstehen, warum sollten Millionen Zahlesel für ihre Unterhaltsschulden bzw. Unterhaltstitel aufkommen?

Zitat von Mus Lim, Montag den 04. Mai 2009 im Trennungsfaqforum
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#7
Weitgehend unbemerkt in den hiesigen Medien gab es letztes Jahr zwei starke Trends im Familienrecht anderer Länder.

In den USA wurden wie bei einem Dammbruch letztes Jahr in sehr vielen Bundesstaaten für Homosexuelle Ehen oder eheähnliche Konstrukte eingeführt, begleitet von vielen juristischen Auseinandersetzungen, Presseartikeln, Diskussionen. Viele Länder auf dem amerikanischen Kontinent haben nun gesetzlich geregelte gleichgeschlechtliche Partnerschaften, darunter Brasilien, Argentinien, Kolumbien. Immer wird laut diskutiert und auch demonstriert, aber früher oder später scheint es in die Ehe für Gleichgeschlechtliche zu münden.

Weniger laut wurde international eine Reihe von Fortpflanzungsgesetzen verändert. Beispielhaft dafür Österreich, wo morgen eine Novelle beschlossen wird: Lesbische Paare bekommen dort legal offiziell Zugang zu Samenspenden, die Stiefkindadoption wurde legalisiert, Eizellenspenden werden legalisiert. Beispielhaft auch, dass homosexuelle Frauen grundsätzlich mehr Möglichkeiten und Rechte haben als homosexuelle Männer. Sie können sich Kinder ohne rechtlichen Vater per Samenspende verschaffen, während Männer keine Kinder ohne rechtliche Mutter bekommen können, Leihmutterschaft bleibt ausdrücklich verboten. Die sind nach wie vor die Ausnahme in der Gesetzen, während "Leihväter" überall erlaubt sind und nun auch für homosexuelle Frauen in der Mehrheit der Länder.
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