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BVerfG vom 21.7.2010 zu gemeinsamen Sorge nichtehelicher Eltern
#1
BVerfG Beschluss des Ersten Senats vom 21. Juli 2010 Az 1 BvR 420/09, Volltext: http://www.bundesverfassungsgericht.de/e...42009.html

Die Entscheidung kennt jeder hier im Forum. Hier der Leitsatz: "Es verletzt das Elternrecht des Vaters eines nichtehelichen Kindes aus Art. 6 Abs. 2 GG, dass er ohne Zustimmung der Mutter generell von der Sorgetragung für sein Kind ausgeschlossen ist und nicht gerichtlich überprüfen lassen kann, ob es aus Gründen des Kindeswohls angezeigt ist, ihm zusammen mit der Mutter die Sorge für sein Kind einzuräumen oder ihm anstelle der Mutter die Alleinsorge für das Kind zu übertragen." Bevollmächtigter war der Anwalt Georg Rixe aus Bielefeld.

Die Entscheidung ist lang und von hoher Dichte. Sie enthält noch weit mehr wie den §1626a BGB zu knacken. Auf einen Aspekt, der mir und sicher auch anderen früh aufgefallen ist, aber der bisher nicht zur Sprache kommt will ich in diesem Beitrag genauer eingehen. Er versteckt sich im letzten Drittel des Urteil. Hier die Passage:

"Dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ist beizupflichten, dass der Gesetzgeber selbst seine die Regelung des § 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB rechtfertigende Prämisse, eine mangelnde Übereinstimmung der Eltern über die Sorgetragung lasse einen elterlichen Konflikt erkennen, der stets zu einer dem Wohl des Kindes abträglichen Ausübung gemeinsamer Sorge führe, nicht konsequent seinem Gesamtkonzept der Sorgetragung von Eltern nichtehelicher Kinder zugrunde gelegt hat (vgl. EGMR, Zaunegger gegen Deutschland, a.a.O., Ziffer 61 f.). Denn leben nicht miteinander verheiratete Eltern, die einmal eine gemeinsame Sorge begründet haben, getrennt und möchte ein Elternteil gegen den Willen des anderen die Alleinsorge für das Kind erhalten, ist ihm gemäß § 1671 BGB das Recht eingeräumt, einen entsprechenden Antrag auf Übertragung der Alleinsorge zu stellen. Dabei schließt der Gesetzgeber nicht schon aus dieser Antragstellung und der mangelnden Zustimmung des anderen Elternteils hierzu auf eine mangelnde Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit der Eltern mit schädlichen Auswirkungen für das Kind. Vielmehr hat das Gericht dann zu prüfen, ob zu erwarten ist, dass die Übertragung der Alleinsorge auf den Antragsteller dem Wohl des Kindes tatsächlich am besten entspricht. Maßgeblich für die Sorgerechtszuweisung ist in diesem Fall also das Kindeswohl, nicht dagegen die fehlende Willensübereinstimmung der Eltern, die erst im Rahmen der Würdigung des Einzelfalls Berücksichtigung findet, wenn zu klären ist, ob sie auf einer Unfähigkeit der Eltern zur Kooperation beruht, die negative Auswirkungen auf das Kind befürchten lässt (so z.B. auch OLG Köln, FamRZ 2009, S. 62 <62 f.>; OLG Hamm, FamRZ 2006, S. 1058 <1059>)."

Ein Alleinsorgeantrag darf also nicht so gewertet werden, dass die Eltern nicht kooperieren wollen oder können! Häufig wird von den Familiengerichten bereits der Antrag als Indiz gewertet, dass es an elterlicher Kooperationsbereitschaft mangelt. Es geht sogar noch weiter: Das BVerfG stellt das Kindeswohl über eine fehlende Willensübereinstimmung der Eltern! Das heisst auch, dass beides nicht voneinander abhängt, das Kindeswohl darf sich nicht aus einem "Gleichschritt" der Eltern herleiten bzw. dessen Gefährdung aus einem fehlenden Gleichschritt.

Das Urteil hat folglich auch Auswirkungen auf Verfahren, in denen

- ein Elternteil Alleinsorge für sich fordert
- so wie jetzt möglich von Alleinsorge auf gemeinsame Sorge gegangen wird.

Das BVerfG geht damit auch gegen eine Reihe von unseligen BGH-Urteilen vor, die gar nicht zur Verhandlung anstanden, z.B. die Katastrophe in BGH XII ZB 158/05 vom 12.12.2007 (Streit provozieren, mit Alleinsorge belohnt werden) und natürlich die vorgestrige Speichelleckerei in Urteilen wie XII ZB 103/08 vom 26.11.2008 (alle Urteile in der BGH-Datenbank und auch hier besprochen).

Ich habe das Gefühl, dem BVerfG ging es in diesem Urteil nicht nur darum, die Vorgaben des EGMR sofort in konkrete Rechtsauswirkungen umzusetzen, sondern es wollte auch eigene Akzente setzen und rührt auch einer Neubetrachtung des Kindeswohls und des Sorgerechtsbegriffs. Es lohnt sich jedenfalls, das Urteil genauer zu lesen, da ist noch mehr drin.
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#2
(22-08-2010, 23:05)p schrieb: Ein Alleinsorgeantrag darf also nicht so gewertet werden, dass die Eltern nicht kooperieren wollen oder können!

Das hat das OLG Brandenburg offenbar noch nicht mitbekommen...

Der Vater beantragte in der Folge das alleinige Sorgerecht für den Sohn, hilfsweise die Erteilung der gemeinsamen Sorge. Das Oberlandesgericht (OLG) Brandenburg lehnte den Antrag ab. Zwar sei nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ein gemeinsames Sorgerecht zu erteilen, soweit dies dem Kindeswohl entspreche. Hier hätten jedoch beide Elternteile das alleinige Sorgerecht für sich in Anspruch genommen und sich darauf berufen mit dem jeweils anderen nicht mehr kommunizieren zu können, beziehungsweise zu wollen.

Daher könne nur einer allein die Sorge ausüben, urteilten die Richter, und entschieden zugunsten der Mutter.


http://www.lto.de/de/html/nachrichten/12...urchbruch/
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#3
Der Kläger hat offenbar nicht mit den obigen Details argumentiert.
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