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OLG Stuttgart 3.8.17: Keine gesteigerte Erwerbsobliegenheit für Kindesunterhalt
#1
Oberlandesgerichts Stuttgart vom 3. August 2017, Aktenzeichen 16 UF 118/17.

Drei Kinder, 14jährige lebt beim Vater, 11jährige Zwillinge bei der Mutter. Ein Zwilling ist behindert, wird 30 Stunden pro Woche woanders betreut. Mutti arbeitet aber nur gut einen Tag pro Woche bzw. zwei Stunden am Tag, wohnt mietfrei im eigenen Haus. Vati hat 2800 Euro netto im Monat, Vollzeitangestellter. Vati zahlt kräftig Unterhalt für zwei Kinder, bekam aber selber keinen. Er klagt, Amtsgericht verurteilt Mutter zu Mindestunterhalt für das eine Kind, sie könne 120 Stunden im Monat arbeiten, also etwas weniger wie die Betreuungszeit des behinderten Kindes.

Nun das Oberlandesgericht: Sie müsse nicht 120 Stunden arbeiten, sondern nur 80, sie brauche ja auch ihre Freiheit. Man rechnet hin und her und kommt auf 1479 Euro, aber trotzdem Mangelfall unterhalb Mindestunterhalt weil der angemessene Selbstbehalt gelte mit 1300 EUR. Und jetzt die entscheidende Begründung, warum keine gesteigerte Erwerbobliegenheit und nicht der normale Selbstbehalt gegenüber Kindesunterhalt gelte:

Die verschärfte Haftung greife hier nicht, da mit dem Vater ein gut verdienender Verwandter zur Verfügung stehe. Daher müsse die Mutter nicht stärker verpflichtet werden. Schließlich verbliebe dem Vater aufgrund seines Einkommens noch eine Summe, die deutlich über dem angemessenen Selbstbehalt liege.

Mit Kindergeld und Unterhalt hat Mutti also rund 2450 EUR - Vati bleiben unter 2100 EUR. Er hat weniger Geld, weil er mehr verdient, so die Juristenlogik. Und wahrscheinlich darf er noch einiges extra blechen für das behinderte Kind - Mehrbedarf. Und gesteigerte Erwerbsobliegenheit. Teilzeit und "mal Ruhe haben" ist für ihn nicht drin.

Fazit: Auch wenn eine Verschiebung des Barunterhalts wegen Einkommensungleichheiten noch nicht in Frage kommt, so kommt vielleicht eine Erhöhung des Selbstbehalts und ein Wegfall der gesteigerten Erwerbsobliegenheit beim Pflichtigen in Frage. Jedenfalls, wenn man Mutti ist. Und zwar aufgrund §1607 Abs. 1 und nicht aufgrund der Formulierung "in der Regel" §1606 Abs. 3, die bei hohen Einkommensungleichheiten greift, wo die Ausnahme zur Anwendung kommt.
§ 1607 Ersatzhaftung: "Soweit ein Verwandter auf Grund des § 1603 nicht unterhaltspflichtig ist, hat der nach ihm haftende Verwandte den Unterhalt zu gewähren."
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#2
Wie kommt man oben auf einen SB von 1300 ? Wurde der gewürfelt ?

Also ein voll Erwerbsgeminderter hat eine gesteigerte Erwerbsobliegenheit, indem er noch einen 450 € Job zu machen hat, aber die Mutti nicht, weil ein gut verdienender Verwandter (Vater) zur Verfügung steht? Gut zu wissen ;-)

Wenn man Familienrichter ist, warum braucht man dann ein Jura-Studium? Wir könnten auch Philosophen und Freidenker nehmen. Sie gibt es zahlreich, wären in Lohn und Brot und dürften "zum Wohle des Kindes" ihrer Fantasie freien Lauf lassen.
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#3
(21-12-2017, 14:45)Nappo schrieb: Wie kommt man oben auf einen SB von 1300 ? Wurde der gewürfelt ?

Steht so in der Düsseldorfer Tabelle. Notwendiger Eigenbedarf: 880/1080 EUR (nicht erwerbstätig / erwerbstätig)
Angemessener Eigenbedarf: 1300. Indem der angemessene Eigenbedarf zum Einsatz kommt, umschifft Mutti auch elegant das Problem, dass für Teilzeitarbeit nur ein Zwischenwert des notwendigen Selbstbehalts gegolten hätte. Diese Unterscheidung gibts beim angemessenen Eigenbedarf gar nicht.

Der interessante Part liegt in der Begründung für § 1607 BGB. Nur schade, dass der nicht noch vom BGH so betätigt wurde. Es würde auf alle Unterhaltspflichtigen passen, die unter dem angemessenen Eigenbedarf liegen, der betreuende Elternteil hingegen deutlich über Selbstbehalt bleibt. Ich fürchte nur, dass bei vertauschten Geschlechterrollen wie übliche alles gaaaanz anders gesehen wird.
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