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OLG Düsseldorf II-7 UF 33/08: Tabellen und nicht Zahlbeträge beim Kindesunterhalt
#1
OLG Düsseldorf, Urteil vom 18.09.2008, Az. II-7 UF 33/08
Volltext: http://www.justiz.nrw.de/nrwe/olgs/duess...80918.html

Aus dem Leitsatz: "Der Vorabzug des Kindesunterhalts von dem Einkommen des barunterhaltspflichtigen Elternteils hat für die Berechnung des Ehegattenunterhalts in Höhe der Tabellen- und nicht der Zahlbeträge zu erfolgen. Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht kommt nicht in Betracht."

Eine wichtige Entscheidung, das ist mit dem neuen Unterhaltsrecht von den Gerichten bisher anders beurteilt worden.

Der Fall: Man war verheiratet, ein Kind (jetzt fünf Jahre alt), Vater zahlt 100% Kindesunterhalt sowie 219 EUR Ehegattenunterhalt, obowhl er nach der Scheidung in Privatinsolvenz musste. Arbeitgeber kündigt ihm. Er klagt dagegen, es endet mit einem Vergleich. Jetzt ist er arbeitslos und in einer Qualifizierungsmassnahme. Das Amtsgericht senkt seine Ehegattenunterhaltsverpflichtungen, ab 1/2008 Wegfall.

Der Ex passt das natürlich nicht. Sie will mindestens den alten Betrag und ab Juni mindestens 150 EUR. Sie könne wegen der Kinderbetreuung nicht nachmittags arbeiten, er müsse jedoch mehr arbeiten statt die Qualifizierungsmassnahme zu absolvieren, fiktives Einkommen weil zu wenig um neuen Job gekümmert, er hätte eine Steuererstattung etc. Und schliesslich "ob das Einkommen des Klägers um den Tabellenunterhalt oder um den Zahlbetrag zu bereinigen sei."

Das Gericht gibt ihr teilweise recht. Die Unterstellungen der Ex stellen sich zwar als Lüge heraus (so gab es z.B. nie eine Steuererstattung), aber bis Dezember 2007 wird er mit fiktiven Einkünften vom Gericht auf "leistungsfähig" getrimmt. Ab Januar jedoch nicht mehr, das Gericht gesteht ihm gnädigerweise die Qualifizierung zu.

Unter derart knappen Verhältnisse spielt es eine wichtige Rolle, ob das Einkommen des Pflichtigen um den höheren Tabellenbetrag oder den niedrigeren Zahlbetrag (d.h. ohne Kindergeldanteil) des Kindesunterhalt bereinigt wird, bevor der Ehegattenunterhalt dran ist. Früher war das klar, aber nun "wird allerdings vertreten, die Zahlbeträge in Abzug zu bringen (Dose FamRZ 2007, 1289; Klinkhammer FamRZ 2008, 199; Gerhardt FamRZ 2007, 945; Gerhardt/Gutdeutsch FamRZ 2007, 748; Scholz FamRZ 2007, 2028). Dies entspricht auch dem Regierungsentwurf (BT-Dr. 16/1830 S. 29). Diese Auffassung stützt sich darauf , dass das Kindergeld durch die Anrechnung auf den Bedarf gemäß § 1612 BGB als anrechnungsfähiges Einkommen des Kindes anzusehen und damit genauso zu behandeln ist, wie eine Ausbildungsvergütung."

Das OLG sieht darin einer Verletzung des Grundgesetzes "Art. 3 GG, weil insoweit der barunterhaltspflichtige Elternteil gegenüber dem Elternteil, der den Betreuungsunterhalt leistet, benachteiligt wird, so dass die Gleichwertigkeit gemäß § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB nicht mehr gewahrt ist. Das Kindergeld hat eine zweifache Zweckbestimmung. Zum einen ist es eine familienfördernde Sozialleistung und dient dazu, das Existenzminimum des Kindes sicherzustellen, zum anderen dient es im Rahmen des Familienleistungsausgleich gemäß § 31 S. 2 EStG dazu, die barunterhaltspfichtigen Eltern von ihren Belastungen durch ihre Leistungen gegenüber den Kindern steuerlich frei zu stellen.

Beim Abzug der Zahlbeträge wird nämlich dieser hälftige Ausgleich des Kindergeldes gemäß der vom BVerfG hervorgehobenen Zweckbestimmung über den Ehegattenunterhalt zu Lasten des Barunterhaltspflichtigen verändert. Werden nämlich die Zahlbeträge abgezogen, führt dies zu einem Ehegattenunterhalt, der bei einem minderjährigen, von dem bedürftigen Ehegatten betreuten Kind um 33 € höher ist, als bei Abzug der Tabellenbeträge. Wird als Vorwegabzug lediglich der Zahlbetrag berücksichtigt, erhöht sich das Einkommen für den barunterhaltspflichtigen Elternteils um das hälftige Kindergeld, also um 77 €, so dass der den Betreuungsunterhalt leistende bedürftige Ehegatte davon 3/7, also 33 € über den Ehegatten für sich abzweigt. Da die Vertreter der Auffassung für den Abzug der Zahlbeträge davon ausgehen, dass das Kindergeld Einkommen des Kindes ist, führt dies sogar noch zu der misslichen Situation, dass die andere Hälfte des Kindergeldes bei dem bedürftigen Ehegatten, der die Betreuung des Kindes leistet, nicht in Ansatz zu bringen ist, da der Betreuungsunterhalt nicht zu monetarisieren ist und daher bei der Unterhaltsberechnung unberücksichtigt zu bleiben hat. Es erhöht sich also ausschließlich das Einkommen des barunterhaltspflichtigen Elternteils. Damit verschlechtert sich die Lage für den unterhaltspflichtigen Elternteil, der Ehegattenunterhalt zu zahlen hat, sogar noch gegenüber der früher vertretenen Auffassung, das Kindergeld als Einkommen der Eltern anzusehen. In diesem Falle müsste es nämlich sowohl beim unterhaltsberechtigten als auch beim unterhaltsverpflichteten Ehegatten jeweils zur Hälfte in Ansatz gebracht werden, so dass sich die Berücksichtigung im Regelfall neutralisiert. Die Behandlung als Einkommen des Kindes führt also dazu, dass sich ausschließlich das Einkommen des barunterhaltspflichtigen Elternteils erhöht. Dies hat zur Folge, dass ihm ein Teilbetrag von 33 € von der ihm zustehenden steuerlichen Entlastung im Wege des Ehegattenunterhalts wieder abgenommen und an den anderen Ehegatten weitergeleitet wird, der diesen Betrag neben der ihm zustehenden Hälfte des Kindergeldes erhält. Damit wachsen dem betreuenden Elternteil nicht 77 €, also die Hälfte des Kindergeldes, sondern 110 € zu. Dies stellt nach Auffassung des Senats einen Verstoß gegen Art. 3 GG dar, weil nicht einzusehen ist, dass der steuerliche Ausgleich auf diesem Wege zugunsten dieses Elternteils verfälscht wird, zumal der barunterhaltspflichtige Elternteil das Existenzminimum des Kindes sicherstellt‚ dies entspricht nämlich nunmehr dem Mindestbedarf, der immer befriedigt ist, wenn es um Ehegattenunterhalt geht. Dies ergibt sich aus den Rangfolgen gemäß § 1609 Nr. 1 und Nr. 2 BGB von minderjährigen Kindern und Ehegatten. Das bedeutet also, dass die vorrangige Zweckbestimmung des Kindergeldes als familienfördernde Sozialleistung wegen der Rangverhältnisse auf jeden Fall erfüllt ist, wenn Ehegattenunterhalt in Frage steht. Folgt man den Erwägungen des BVerfG dürfte es beim Ehegattenunterhalt damit nur noch um die weitere Zweckbestimmung, nämlich der Entlastungsfunktion des Kindergeldes gehen, die im Steuerrecht verankert ist und die durch die Anrechnung der Zahlbeträge beim Ehegattenunterhalt nicht mehr zu einer hälftigen Entlastung der Eltern führt.

Die Ungleichbehandlung wird noch offensichtlicher, wenn die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen für die Zahlung von Ehegattenunterhalt aufgrund des Ehegattenselbstbehalts infrage steht. In diesem Falle wird über den Ehegattenunterhalt das hälftige Kindergeld in voller Höhe an den betreuenden Ehegatten weiter geleitet. Verbleiben dem Pflichtigen nach Abzug des Zahlbetrages bei einem Kind 1.077 €, ist er wegen des Kindergeldes in Höhe von 77 € leistungsfähig, Ehegattenunterhalt in Höhe von 77 € zu zahlen. In diesen Fällen verbleibt ihm das Kindergeld zu seiner Entlastung noch nicht einmal teilweise, obwohl er das Existenzminimum des Kindes durch den Kindesunterhalt sicherstellt. Ansonsten käme es – wie bereits ausgeführt – gar nicht zum Ehegattenunterhalt. Die Weiterleitung des hälftigen Kindergeldes in voller Höhe an den unterhaltsberechtigten Ehegatten dürfte sich auch nach den Ausführungen des BVerfG vor allem nicht damit begründen lassen, dass der Unterhaltspflichtige nicht leistungsfähig ist, Ehegattenunterhalt zu zahlen. Die familienfördernde Zweckbestimmung betrifft ausdrücklich nur das Existenzminimum des Kindes. Im Übrigen sieht der Senat bei diesem Ergebnis auch einen Widerspruch darin, dass gegenüber dem Ehegattenunterhalt ein höherer Selbstbehalt gilt, als gegenüber Kindern, da durch den Abzug der Zahlbeträge die zu Recht bestehende Differenzierung aufgehoben wird.

Noch krasser wirkt sich der Abzug der Zahlbeträge aus, wenn der unterhaltsberechtigte Ehegatte auch noch den Betreuungsunterhalt leistet. Trennt sich die Ehefrau von dem Ehemann, belässt sie die beiden aus der Ehe stammenden minderjährigen Kinder in dessen Haushalt und verlangt Ehegattenunterhalt, müsste der Ehemann, wenn sie aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen nicht in der Lage ist, Kindesunterhalt zu zahlen, das hälftige Kindergeld über den Ehegattenunterhalt an sie weiterleiten, wenn ihm nach Abzug der Zahlbeträge für die beiden bei ihm lebenden Kinder lediglich 1.154 € verbleiben. In diesem Falle müsste er also 154 € Ehegattenunterhalt bezahlen. Es liegt auf der Hand, dass es sich dabei um das jeweils hälftige Kindergeld für die beiden bei ihm lebenden Kinder handelt, die er nicht nur betreut, sondern deren Naturalunterhalt er auch sicherstellt, weil die Ehefrau sich daran aufgrund ihrer Leistungsunfähigkeit nicht zu beteiligen vermag. Dies bedeutet, dass die Mutter, obwohl sie nichts aber auch rein gar nichts zum Unterhalt der Kinder beiträgt, über den Ehegattenunterhalt das halbe Kindergeld für sich beanspruchen kann. Dieses Ergebnis dürfte krass gegen die Auffassung des BVerfG verstoßen, nach der ein Anspruch eines Elternteils auf das hälftige Kindergeld erst dann besteht, wenn er das Existenzminimum des Kindes sicherzustellen vermag, und insoweit die familienfördernde Zweckbestimmung im Vordergrund steht. Dem Ehegatten der sowohl den Betreuungs- als auch den Naturalunterhalt leistet, verbleibt in diesen Fällen nur das hälftige Kindergeld, obwohl es ihm in voller Höhe zur Verfügung stehen müsste.

Zu einem ebenso unangemessenen Ergebnis führt der Abzug der Zahlbeträge bei nicht gemeinsamen Kindern. Ist der vom geschiedenen Ehegatten auf Ehegattenunterhalt in Anspruch genommene Ehegatte wieder verheiratet, sind aus der neuen Ehe z. B. zwei Kinder hervorgegangen, ist der zweite Ehegatte wegen Erwerbstätigkeit nicht unterhaltsbedürftig und verbleiben dem Ehemann nach Abzug des Zahlbetrages 1.154 €, muss er das für die nicht gemeinsamen Kinder bezogene Kindergeld zur Hälfte im Wege des Ehegattenunterhalts an den geschiedenen Ehegatten weiterleiten, der mit den Kindern überhaupt nichts zu tun hat.

Aufgrund der aufgezeigten verfassungsrechtlichen Bedenken vermag sich der Senat nicht der Auslegung anzuschließen, nach der die Kindergeldanrechnung auf den Bedarf gemäß § 1612 b BGB bei der Berechnung des Ehegattenunterhalts zum Abzug der Zahlbeträge führen muss. Entgegen der Auffassung von Scholz (Wendl/Staudigl 7. Aufl., § 2 Rdnr. 510) sieht sich der Senat nicht verpflichtet, das konkrete Normen-Kontrollverfahren gemäß Art. 100 GG durchzuführen und die Sache dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen. Eine Vorlage kommt dann nicht in Betracht, wenn die Verfassungswidrigkeit durch eine verfassungskonforme Auslegung beseitigt werden kann (BVerfGE 32, 383; 48, 215; 64; 242; von Münch/Kunig GG, 5. Aufl., Art. 100, Rdnr. 66; Leibholz/Rück GG Art. 100 Rdnr. 42). Da nach Auffassung des Senats nicht der § 1612 b und die Kindergeldanrechnung auf den Bedarf des Kindes verfassungswidrig ist, sondern lediglich die daraus gezogene Schlussfolgerung, dass demgemäß bei der Berechnung des Ehegattenunterhalts die Zahl- und nicht die Tabellenbeträge abzuziehen sind, besteht die Möglichkeit durch eine verfassungskonforme Auslegung und den Abzug der Tabellenbeträge ein verfassungswidriges Ergebnis zu vermeiden. Damit verbietet sich eine Vorlage gemäß Art. 100 GG."


Schön seziert. Es ist sehr zu hoffen, dass auch der BGH dieser Auffassung folgt. Berufung ist zugelassen. Vielleicht landet es doch noch beim BGH.
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OLG Düsseldorf II-7 UF 33/08: Tabellen und nicht Zahlbeträge beim Kindesunterhalt - von p__ - 16-10-2008, 18:17

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