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1626a BGB - Entscheidung in Straßburg zum Sorgerecht nichtehelicher Väter
#76
Um auch schlechte Artikel zu zitieren:

"(...) Geht die Beziehung dann schief und bietet sich woanders etwas Besseres, sind die Partner rasch flüchtig. Und das Leid tragen die Kinder, die nicht verstehen, warum die Mutter oder - meistens - der Vater verschwunden ist. Diese Kinder sind die wahren Opfer eines solchen lustbetonten Beziehungs-Egoismus.

Viele Väter verschwinden grußlos. Sie haben an ihren Nachkommen oft kein Interesse, erweisen sich als säumige Unterhaltszahler und lassen die Mutter mit der Sorge ums Kind allein.

(...) Bayerns Justizministerin Beate Merk hat daher Recht, wenn sie sagt, auch die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angeordnete deutsche Neuregelung dürfe nicht auf Kosten der Kinder gehen. Deren Rechte und deren seelisches Wohlergehen müssen auch künftig Vorrang haben vor den Interessen der Erwachsenen. Auch Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger scheint sich der Gesetzesreform eher mit solcher Vorsicht zu nähern. Sie tut gut daran, in dieser Neuregelung eine gründliche Einzelfallprüfung vorzusehen, die zuerst das Kindeswohl im Auge hat. Denn was für den Einzelfall galt, der da in Straßburg entschieden worden ist, muss noch lange nicht auf alle anderen Fälle anwendbar sein, bei denen ledige Väter das Sorgerecht begehren. Und ein Staat muss immer noch selbst einen Ermessensspielraum darüber haben, wie er die mentalitätsprägenden Strukturen seiner Gesetzgebung regelt."


http://anonym.to/?http://www.dradio.de/d...r/1081400/ , geschrieben von einem Herrn Michael Rutz, Chefredakteur Rheinischer Merkur. Hervorhebungen von mir.

Das ist die Standardargumentation, die in allen negativen Artikeln ausgebreitet wird. Sie stellt eine exakte Wiederholung der Diskussion dar, wie sie 1997 schon geführt wurde, als das gemeinsame Sorgerecht nach Scheidungen zum (ausnahmendurchsetzten) Standard wurde. Dieselben Argumente. Abgesehen davon, dass diese Argumente durch die Praxis schon vor Jahren gründlich widerlegt wurden (Proksch-Studie!) und fast niemand mehr die Rückkehr zur Alleinsorge mit Einzelfallprüfung zugunsten gemeinsamer Sorge fordert, rührt diese alte Diskussion an den grundsätzlichen Unterschieden des deutschen Sonderweges und dem grossen Rest von Europa.

Nirgendwo in Europa wurde das gemeinsame Sorgerecht für Eltern wieder zurückgenommen, nirgendwo wurden schlechte Erfahrungen gemacht. Alle Ängste von Frauenorgansiationen und Politikerinnen wurden durch die Realität als völlig unbegründet entwertet.

So wird es aus der deutschen Auffassung heraus, was das Kindeswohl sei begründet, am in § 1626 a BGB verankerten Mutterprimat bei nichtehelichen Kindern festzuhalten. Mit Hilfe von verallgemeinernden Typisierungen wird die Interessenlage der Mutter unter dem Vorwand der Streitvermeidung als oberstem Gebot des Kindeswohls zum zentralen Gestaltungsprinzip gemacht.

Das in der deutschen Rechtsprechung immer noch dominierende Prinzip der Streitvermeidung, wie es vor allem in den Urteilen des BGH, aber auch in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wieder Anerkennung gefunden hat, geht jedoch an den Erkenntnissen der Wissenschaft vorbei. Es unterstellt, dass es für die betroffenen Kinder nach Trennung ihrer Eltern das aller wichtigste sei, zu klaren Verhältnissen bzw. das Kind zur Ruhe kommen zu lassen.

In Frankreich (und den meisten anderen Ländern) hat sich ein ganz anderes Prinzip durchgesetzt. Im Konfliktfall kann der Richter Maßnahmen zur Aufrechterhaltung von Eltern-Kind-Beziehungen ergreifen. Aufgabe des Rechtes ist es, die Bindung des Kindes zu beiden Eltern aufrecht zu erhalten. Beziehungserhalt und -effizienz sind ein wesentliches Merkmal des französischen Kindschaftsrechts.

Auf Eltern kann Druck, ja sogar Zwang ausgeübt werden, um Konsens bzw. Versöhnung im Hinblick auf ihre Verantwortung gegenüber den gemeinsamen Kindern herzustellen. So ist es möglich, Eltern zu Beratung, Mediation oder Familientherapie zu zwingen. Von französischen Teilnehmern gemeinsamer Treffen wird berichtet, dass die meisten Eltern im Laufe der Arbeit die unterschiedlichen Formen der Problembewältigung dankbar angenommen haben, auch dann, wenn ihre Mitwirkung zunächst unter Druck zustande kam.

Die Gerichte arbeiten nicht mit speziellen Jugendbehörden, die dem deutschen Jugendamt vergleichbar sind, zusammen. Man äusserst Verwunderung über diese deutsche Praxis, die aus Erfahrungen französischer Elternteile mit deutschen Jugendämtern für hinterfragungswürdig gehalten wird.

Sie haben wirkungsvollere Mittel, ihre Entscheidungen durchzusetzen, nicht zuletzt deswegen, weil die Vorenthaltung eines Kindes bzw. die Verhinderung des Umganges mit dem anderen Elternteil gem. § 227 III des französischen Strafgesetzbuches mit Freiheitsentzug bestraft werden kann. Diese Strafvorschrift hat wesentlich dazu beigetragen, dass sich in Frankreich ein Rechtsbewusstsein durchgesetzt hat, das es als sittliches Unrecht wertet, den Umgang eines Kindes mit einem Elternteil zu verhindern. Dieser Umstand trägt wesentlich zur Durchsetzbarkeit von Umgangsrechten bei.

(Falls jemand Textstücke daraus für Kommentare zu Medienbeiträgen verwenden kann: Nur zu)
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RE: 1626a BGB - Entscheidung in Straßburg - von blue - 03-12-2009, 13:49
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