Themabewertung:
  • 0 Bewertung(en) - 0 im Durchschnitt
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
  • 5
BVerfG 1 BvR 1265/08 vom 27.06.2008 zur "ertrotzten Kontinuität"
#4
So, jetzt hab ich den Urteilstext der BVerfG-Entscheidung gesichtet. Leider ist da wenig Licht zu sehen.

Die Situation war so: Vater und Mutter leben zusammen, Vater betreut Kind hauptsächlich. Vater sagt, dass er sich trennen will. Wenige Wochen danach haut die Mutter mit dem Kind bei Nacht und Nebel ohne Ankündigung ab.

Dann geht es sofort ums Aufenthaltsbestimmungsrecht. Amtsgericht weist es in einer einstweiligen Anordnung der entführenden Mutter zu. Der übliche brutale Sexismus auf Kosten eines Kindes, der auch das blöde Standardgeschwafel von Frauen und Politikerinnen regelmässig demaskiert, Väter würden nach einer Trennung sehr wohl ihre Kinder betreuen dürfen, wenn sie sich vorher entsprechend engagiert hätten. Das Amtsgericht verhöhnt den Vater regelrecht. Er sei ja geeignet und es gebe keine Gründe, die gegen einen Elternteil sprechen, aber "Ausschlaggebend sei letztlich der Gesichtspunkt einer „vorläufigen Kontinuität“. Die Tochter sei nunmehr seit zwei Monaten im Haushalt der Mutter, im Erleben einer Vierjährigen kein nur ganz kurzer Zeitraum. Wenn auch das Gericht das eigenmächtige Handeln der Mutter nicht billige, so sollte es zum Wohl des Kindes vermieden werden, dass die Tochter den Lebensmittelpunkt öfter als nötig wechsele.". Das Musterbeispiel einer Entscheidung, die jeden normalen Vater und andere normale Menschen verzweifeln lassen.

Das OLG München wirft den Vater ebenfalls hinaus, seine Beschwerde sei unbegründet. Zack und weg. Anhörungsrüge folgt: Abgelehnt, Zack und weg. Verfassungsbeschwerde: Wird nicht zu Entscheidung angenommen, weil sie keine grundsätzlichen Fragen aufwerfen würde und keine Aussicht auf Erfolg habe. Das BVerfG meditiert noch ein bisschen über den Gründen der anderen Gerichte und schliesst den Fall.

Das hat wenig Tragweite und wenn es welche hat, dann auf sehr spezielle Fälle beschränkt. Eine wirkliche Einschränkung der mütterlichen Taktik der Kindesentführung mit anschliessender Gerichtsbelohnung dafür ist nicht zu sehen.

Die Meditationen über das Verhalten der Mutter und des Amtsgerichts sind nicht bindend für andere Verfahren, sondern verlaufen in ähnlichem Stil wie ihn das Amtsgericht selber praktiziert. Die Mitnahme sei ja schlecht, aber... Abhilfe wäre nur zu schaffen, wenn das Gericht unmittelbar nach der Mitnahme entscheiden würde, eine extrem kurze Verfahrensdauer die Regel wäre. Das ist sie aber nicht und das BVerfG ist auch nicht imstande, eine zu erzwingen. Man schwafelt lieber: "Die Perspektive einer solchen Rückkehr des Kindes hängt freilich eng mit der Verfahrensdauer zusammen. Mit jeder Verfahrensverzögerung drohen das Fortschreiten einer Entfremdung zwischen dem zurückgelassenen Elternteil und dem Kind und eine Verstärkung der ertrotzten Kontinuität. Dies kann rein faktisch zu einer (Vor-)Entscheidung führen, noch bevor ein richterlicher Spruch vorliegt. Hinzu kommt, dass das kindliche Zeitempfinden nicht den Zeitmaßstäben eines Erwachsenen entspricht. Dies und der Umstand, dass solche Verfahren für die betroffenen Familienmitglieder, deren persönliche Beziehungen hierdurch unmittelbar beeinflusst werden, in der Regel von höchst persönlicher Bedeutsamkeit sind, machen eine besondere Sensibilität für die Problematik der Verfahrensdauer in diesen Verfahren erforderlich (vgl. BVerfGK 2, 140 <142> m.w.N.)." Ja danke auch, nett gesagt, nichts geändert.

Das einzige Licht, das ich in dieser "Nicht-Entscheidung" sehe ist ein Absatz, der als Textbaustein für eigene Verfahren verwendet werden kann. Voraussetzung auch hier: 1. Der Zurückgelassene war der hauptbetreuende Elternteil 2. Er handelt sofort. 3. Das Gericht erlässt sofort eine EA. Dann bediene man sich aus dem hier:

"Vor diesem Hintergrund hätte die Annahme des Amtsgerichts, im Hinblick auf die Erziehungseignung der Eltern bestünden „keine offenkundigen Unterschiede“, näherer Darlegung bedurft. Dies gilt umso mehr, als – bei im Übrigen gleichwertigen äußeren Erziehungsumständen und Bindungen des Kindes – eine bessere Erziehungseignung auch dann den Ausschlag geben kann, wenn diese nicht offenkundig ist. Wenn und weil sich vorläufige Sorgerechtsentscheidungen regelmäßig faktisch zugunsten des Elternteils auswirken, der das Kind anlässlich der Trennung eigenmächtig mitnimmt, darf der Umstand, dass diese Kontinuität ertrotzt wurde, nicht erst in der Hauptsacheentscheidung, sondern muss schon im Eilverfahren angemessen berücksichtigt und insbesondere auch zu den Auswirkungen eines erneuten Wechsels des Kindes ins Verhältnis gesetzt werden. Gerade wenn das Kind – wie hier – plötzlich aus der Obhut seines bislang hauptsächlich betreuenden Elternteils entrissen und aus seinem bisherigen örtlichen und sozialen Umfeld entfernt wird, entspricht eine rasche Rückkehr des Kindes an den Ort seines gewöhnlichen Aufenthalts regelmäßig dem Kindeswohl. Dies gilt umso mehr, wenn das Kind – wie vorliegend – einer Rückkehr gegenüber offen eingestellt ist – das Kind hat erklärt, den Vater wieder sehen und in den alten Kindergarten gehen zu wollen – und die vom Amtsgericht angenommene „vorläufige Kontinuität“ gerade einmal zwei Monate angedauert hat."
Zitieren


Nachrichten in diesem Thema
RE: 1 BvR 1265/08 vom 27.06.2008 zur "ertrotzten Kontinuität." - von p__ - 30-04-2009, 15:49

Gehe zu:


Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste